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Russen gehen, die Hölle bleibt

Von Ines Scholz

Europaarchiv

Menschenrechtslage bleibt prekär. | Machtzuwachs für Präsident Kadyrow. | Grosny/Wien. "Wir werden die Banditen bis in die Latrine verfolgen, um sie kaltzumachen". Dies hatte Wladimir Putin zu Beginn des zweiten Tschetschenien-Feldzuges im Herbst 1999 verkündet. Zehn Jahre danach erklärte Russland nun seinen Anti-Terror-Einsatz offiziell für beendet. Die Initiative geht auf Putins Nachfolger im Kreml, Dmitri Medwedew, zurück.


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Vorgänger Putin hatte seinerzeit Wort gehalten. Zehntausende Soldaten sowie Spezialtruppen des Inlandsgeheimdienstes und Innenministeriums marschierten in die quasi-unabhängige Kaukasusrepublik ein, um - unter dem Deckmantel der Anti-Terror-Operation - die demokratisch gewählte Regierung von Präsident Aslan Maschadow zu stürzen und Grosny wieder der Moskauer Zentralmacht zu unterstellen.

Der Krieg wurde mit schier unvorstellbarer Brutalität geführt: Zehntausende Zivilisten, Menschenrechtsaktivisten und Widerstandskämpfer wurden ermordet, vergewaltigt, zu Tode gefoltert. Viele verschwanden auch spurlos. Säuberungsaktionen und willkürliche Verhaftungen standen an der Tagesordnung. Damit sollten die in die Berge geflüchteten Unabhängigkeitskämpfer zermürbt werden. Mit der Notwendigkeit der "Informationsbeschaffung zur Terrorbekämpfung" rechtfertigte Putin diese Methoden. Grundlage war ein Kreml-Dekret von Herbst 1999, das den russischen Ordnungshütern freie Hand ließ.

Seit Mittwoch um Mitternacht stehe die russische Teilrepublik nicht mehr unter der Sonderverwaltung des Inlandsgeheimdienstes (FSB), ließ der FSB-Chef und Vorsitzende des Nationalen Anti-Terror-Komitees, Alexander Bortnikow, am Donnerstag verlauten.

Kein Totalabzug

Von einem russischen Totalabzug kann jedoch nicht die Rede sein. Zwar sollen laut Moskauer Innenministerium in den kommenden Monaten bis zu 20.000 Soldaten und Mitglieder der Sondereinheiten die Unruheprovinz verlassen. Mindestens eine Division und eine Brigade des Innenministeriums (rund 30.000 Mann) sollen dort aber weiterhin stationiert bleiben.

Für die Bevölkerung in der Krisenrepublik wird sich an der prekären Menschenrechtslage durch Moskaus jüngsten Schritt ohnehin kaum etwas ändern. Bereits in den vergangenen Jahren hatte Russland den "Anti-Terror-Kampf" - unter dem vor allem die Zivilibevölkerung litt - sukzessive an die Milizen von Ramsan Kadyrow übertragen.

Die Kampfverbände des pro-russischen Vasallen in Grosny, den Putin 2007 zum Präsidenten der Teilrepublik kürte, sind mittlerweile für die Mehrheit der Menschenrechtsverbrechen verantwortlich. Ihr Vorgehen unterschiedet sich weder in der Methodik noch in der Brutalität von dem der Russen. Die 750.000 Einwohner in der Region, die kaum größer ist als die Steiermark, leben auch heute mit der dauernden Angst, von zuhause abgeholt und in einem der geheimen Folterverliese auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Viele ehemalige Rebellen und Mitstreiter des 2005 getöteten Tschetschenen-Präsidenten Maschadow gaben ihren Kampf auf, nachdem ihre gesamte Familie auf diese Weise in Geiselhaft genommen wurde.

Kadyrow und seinem rund 8000 Mann starken Sicherheitskorps ist es mit diesen Terrormethoden mittlerweile gelungen, eine gewisse Stabilität zu schaffen. Seine Kritiker sind tot oder ins Exil geflüchtet. Selbst dort sind sie - wie die Ermordung Umar Israilows im Jänner in Wien und drei weiterer tschetschenischer Flüchtlinge in der Türkei gezeigt hat - nicht mehr sicher.

Nicht nur der Oppositionellen, auch seiner rivalisierenden Mitstreiter hat sich Kadyrow mit Einwilligung des Moskauer FSB bereits entledigt. Zuletzt fiel im März in Dubai Sulim Jamadajew einem Attentat zum Opfer. Bis vor kurzem befehligte Jamadajew in Tschetschenien das dem russischen Militärgeheimdienst GRU unterstellte Battaillon Ost.

Tschetschenien werde bald der sicherste Ort Europas sein, tönte der 32-jährige Kadyrow im Vorjahr bei der Eröffnung des Flughafens in Grosny. Doch es ist eine Friedhofsruhe, die zudem durch Rebellengriffe auf Kadyrows verhassten Sicherheitsapparat immer wieder gestört wird.

Für Moskau ist die Mär von der "befriedeten Kaukasusrepublik" willkommen. Schließlich verschlang die Anti-Terror-Operation viel Geld, das in Zeiten der Wirtschaftskrise anderwärtig gebraucht wird. Die Übertragung von noch mehr Machtkompetenzen an Kadyrow hat für Premier Putin darüber hinaus den Vorteil, dass nicht mehr ausschließlich er mit den verübten Verbrechen in Verbindung gebracht wird.