)
Der ukrainische Präsident Selenskyj fordert in München rasche Hilfe zur Verstärkung seiner "Steinschleuder".
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
In äußerst bildhafter Sprache wandte sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj an die Teilnehmer der Münchner Sicherheitskonferenz. Die Bezeichnung "David am Dnjepr" für die Ukraine sei sehr zutreffend, so Selenskyj am Freitag; man müsse den "russischen Goliath" besiegen. David zu sein, bedeute zu kämpfen, befand der Präsident, um dann auf den Punkt zu kommen: Wie einst der biblische Held benötige man eine Schleuder - und zwar sehr schnell eine sehr starke.
In der Tat verlangt die Ukraine nach Waffen, hier dürfe es "keine Tabus" geben, hatte Selenskyj davor in Kiew gefordert. Die militärische Hilfe müsse rasch kommen, gemeinsam könne man es schaffen, denn Russland habe schon "begonnen, zu fallen". Immerhin gehe es darum, auch die Menschen an der Themse, der Spree und der Donau zu verteidigen. Auf die Frage des Chefs der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, meinte Selenskyj, dass die aktuelle russische Offensive in der Ostukraine das Ziel habe, eventuelle ukrainische Schwachstellen in der Verteidigung auszuforschen und auszunützen.
Blutiger Abnützungskrieg
Der Krieg hat zweifellos eine brandgefährliche Situation geschaffen, deshalb wird im Hotel Bayerischer Hof abseits genereller Überlegungen konkret über die künftige Vorgangsweise des Westens beraten. So kommen der deutsche Kanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und die bereits am Donnerstag in München gelandete US-Vizepräsidentin Kamala Harris zu Gesprächen zusammen. Nach Angaben des Weißen Hauses ist es jetzt vorrangiges Ziel, die Kosten des Angriffskrieges für Russland sukzessive weiter zu erhöhen. Aus diesem Grund ist die bisher größte US-Delegation - Harris und zahlreiche Senatoren sowie Abgeordnete des Repräsentantenhauses - nach München gekommen.
In der Tat deutet alles auf einen langwierigen, blutigen Abnützungskrieg in der Ukraine hin, an dessen Ende der russische Angreifer erschöpft aufgeben, zu Verhandlungen bereit sein oder sich aus der Ukraine zurückziehen soll. So weit die Theorie. Dass Russlands Präsident Wladimir Putin dafür nicht zu haben ist, ist den meisten Teilnehmern der Sicherheitskonferenz klar. Hier versucht man, sich zu helfen, indem man auslotet, wie eine Ära nach Putin aussehen könnte.
Die Macht des Kremlherrn ist in den vergangenen Monaten erodiert - ein Sturz Putins ist allerdings nicht in Sicht. Es ist also unwahrscheinlich, dass der Krieg in der Ukraine rasch endet. Und wie er endet, weiß auch im Hotel Bayerischer Hof niemand.
Mehr Geld fürs Heer
Zunächst steht die Forderung der USA an die Nato-Partner im Raum, die Bemühungen um Aufrüstung zu erhöhen. So legte der Vorsitzende der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, den europäischen Teilnehmern in München nahe, dass die Nato-Länder ihre Verteidigungsausgeben erhöhen und ihre militärischen Fähigkeiten verbessern müssten. Beim deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius läuft er offene Türen ein. Der pochte in München rasch auf zusätzliche Budgetmittel für die Bundeswehr; mit dem derzeitigen Etat seien die kommenden Aufgaben nicht zu erfüllen. Das schon deshalb, weil die Waffenlieferungen an die Ukraine den Westen ans Limit bringen.
Und der Außenminister der Ukraine, Dmytro Kuleba, hat seine Forderung nach Bereitstellung von Kampfflugzeugen konkretisiert. "Wir wären vor allem an Kampfjets aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland interessiert. Diese Länder haben die höchsten Produktionskapazitäten und die größten Flugzeug-Flotten", so Kuleba. Die Maschinen könnten eingesetzt werden, um feindliche Raketen abzuschießen, und seien für eine mögliche Gegenoffensive wichtig.
Derzeit ist freilich Russland im Osten der Ukraine in der Offensive. Die Rede ist von einem groß angelegten Angriff, der langsam Gestalt annimmt. Allerdings handelt es sich unterschiedlichen Berichten zufolge um ein blutiges russisches Anrennen gegen die ukrainischen Verteidigungslinien. Der Materialverschleiß und der Verlust an Menschenleben in den Kämpfen um Bachmut und Wuhledar in der Region Donezk ist offenbar enorm hoch. Der für gewöhnlich gut informierte US-Thinktank "Institute for the Study of War" (ISW) spricht sogar von "katastrophalen Verlusten" in den Reihen der russischen Streitkräfte. Der Bezirksleiter der ukrainischen Verteidigungskräfte, Oleksiy Dmytrashkivsky, vermeldete zuletzt, dass mehr als 5.000 russische Soldaten getötet, verwundet oder in Gefangenschaft genommen worden seien.
Nichts aus Fehlern gelernt?
Auch die ukrainische Seite haben große Verluste, hier vor allem an Bewaffnung, erlitten. Bestätigt werden die Hiobsbotschaften aus Sicht Moskaus zumindest teilweise von russischen Militärbloggern. Hier wird vor allem die Klage laut, dass die russische Armeeführung nichts aus begangenen Fehlern lerne und immer wieder die gleiche fatale Vorgangsweise wähle. Igor Girkin, einst einer der militärischen Führer der separatistischen Volksrepublik Donezk, spricht davon, dass die Ukrainer die russischen Angreifer "wie in einer Schießbude" vom Feld geräumt hätten.
Hervorragend läuft der Feldzug hingegen aus der Sicht des obersten Kriegsherrn Wladimir Putin. Er verweist auf einige Einheiten, die "heroisch" kämpfen würden, und auf Marineinfanteristen, bei denen alles so funktioniere, wie es sein sollte. Den USA wirft man in Moskau vor, die Ukraine zur Eskalation des Krieges angestiftet zu haben. Dieses Argument zählt in München freilich nicht. Putin habe mit seinem Angriff auf die Ukraine einen absoluten "Zivilisationsbruch" begangen, so Konferenzleiter Heusgen, man kämpfe hier tatsächlich für die gemeinsame, gefährdete Freiheit.