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Russland - ein europäisches Dilemma

Von Martyna Czarnowska

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Die Spaltung in "altes" und "neues Europa" scheint nicht überwunden - das zeigt sich in der Georgien-Krise.


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Russland will es von Anfang an gewusst haben. Zypern hat ebenso davor gewarnt. Und auch die Slowakei hat Bedenken. Die Anerkennung eines von Serbien unabhängigen Kosovo würde einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen, der separatistische Tendenzen in anderen Gegenden nährt, lautete die Botschaft aus Moskau, Nikosia und Pressburg.

Nein, nein, versicherten zahlreiche europäische Diplomaten. Es handle sich um einen Sonderfall. Aber wo ist der Unterschied zwischen Kosovo und meiner Region?, fragen sich viele in den abtrünnigen Provinzen Georgiens, Südossetien und Abchasien, im spanischen Katalonien und Baskenland, in Tschetschenien, in Kurdistan oder in Transnistrien, das seine Loslösung von der Republik Moldau international anerkannt haben will.

So kommen die meisten EU-Staaten jenseits juristischer Begründungen in Argumentationsnotstand. Die Unabhängigkeit des Kosovo haben sie anerkannt, doch im Falle Südossetiens pochen sie auf die Souveränität Georgiens. Russland wiederum, das auf die Souveränität Serbiens beharrt, sieht Südossetien so gut wie losgelöst von Georgien an.

Selbst innerhalb der EU gibt es keine einheitliche Linie zum Kosovo. So ist die Slowakei - wie etwa Serbien - nicht bereit, Kosovo-Reisepässe für gültig zu erklären. Es sei nicht möglich, Dokumente eines Staates zu akzeptieren, der nicht anerkannt werde, stellte Ministerpräsident Robert Fico fest.

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Ins nächste Dilemma stürzte Europa der Georgien-Konflikt. Wieder einmal steht die EU vor der Frage: Wie mit Russland umgehen? Und wieder einmal fordern osteuropäische Staaten wie Polen, Tschechien oder die baltischen Länder ein bestimmteres Auftreten, als es die meisten westeuropäischen Mitglieder wünschen.

Keinesfalls überwunden scheint damit die Spaltung in ein "altes" und "neues Europa", wie es der ehemalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld beim Streit um die Beteiligung der Europäer am Irak-Krieg formulierte. Wie damals sympathisieren die osteuropäischen Staaten auch jetzt eher mit der Linie der USA denn mit der zögerlicheren Haltung der Westeuropäer.

Das hat mit Hörigkeit gegenüber Washington nur wenig zu tun. Ebenso wenig mit der Verkennung wirtschaftlicher Abhängigkeiten. Warschau, Prag oder Vilnius ist im gleichen Ausmaß wie Berlin und Paris bewusst, dass die EU sich nicht völlig von Moskau abwenden kann, schon allein wegen der russischen Erdöl- und Gaslieferungen.

Es sind eher geschichtliche Erfahrungen, die neue Ängste nähren. Wer jahrzehntelang in der russischen Einflusssphäre stand, der will nicht, dass diese wieder größer wird. In Estland oder Lettland gibt es Befürchtungen, dass Moskau der starken russischen Minderheit - wie in Südossetien - russische Pässe ausstellen könnte, um dann im vermeintlichen Krisenfall den Landsleuten zu Hilfe zu eilen.

In Tschechien, wo vor 40 Jahren die Truppen des Warschauer Paktes einmarschiert sind; in Polen, wo vor 27 Jahren das Kriegsrecht verhängt wurde - in solchen Ländern wecken Begriffe wie Sicherheit noch mehr Emotionen als in Staaten, die die letzten 50 Jahre in relativer Ruhe verbrachten.

Aus dieser Sicht war daher der Nato-Beitritt für die osteuropäischen Länder ebenso wichtig wie die EU-Mitgliedschaft. Die Bande mit den USA haben Polen und Tschechien noch zusätzlich gestärkt, durch Abkommen zur Stationierung von Teilen des US-Raketenschilds in Osteuropa.

Die EU-Staats- und Regierungschefs aber können sich weder auf eine gemeinsame Verteidigungspolitik noch eine einheitliche Linie gegenüber Russland einigen. Das Sicherheitsbedürfnis der Osteuropäer kann die EU allein daher nicht stillen.