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"Russland geht aus den Sanktionen erstarkt hervor"

Von Anja Stegmaier

Wirtschaft

Ex-Wirtschaftsdelegierter: Rezession ist vorbei und österreichische Exporte sind in bestimmten Bereichen nach wie vor gefragt, aber der "paradiesische Zustand" von 2013 wird nicht wiederkommen.


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Wien/Moskau. "Wir haben nicht vor, jemandem Avancen zu machen", sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem österreichischen Kollegen, Sebastian Kurz, am Mittwoch in Moskau. Lawrow wies den Vorschlag des neuen OSZE-Vorsitzenden einer Zug-um-Zug-Lockerung der Sanktionen gegen Russland in den Verhandlungen zur Lösung des Ostukrainekonfliktes deutlich und öffentlichkeitswirksam zurück. Und es scheint, dass die 2014 verhängten und zuletzt von der EU bis Juli 2017 verlängerten restriktiven Maßnahmen den Kreml kaum zu Kompromissen bewegen könnten.

Auch der ehemalige Handelsdelegierte in Moskau, Dietmar Fellner, hat den Eindruck, dass Europa mehr unter den Sanktionen leidet als Russland. 2010 bis 2013 herrschte im Land ein Wirtschaftsboom. Österreich erreichte 2013 seinen Exporthöhepunkt in Russland in der Höhe von 3,5 Milliarden Euro. Mit dem Niedergang der russischen Wirtschaft ging es auch den österreichischen Exporten an den Kragen. Im Jahr 2016 hatten sich diese auf 1,8 Milliarden Euro so gut wie halbiert.

Stärkung der Eigenproduktion

Nach dem Höhenflug schwächelte Russlands Wirtschaft in den vergangenen drei Jahren: Der Konsum ging zurück, Kapital floss ab und der Ölpreis sackte in den Keller. Auf die Sanktionen reagierte das Land hingegen mit einer Stärkung der Eigenproduktion, vor allem im Bereich der Metall- und Lebensmittelherstellung.

Die russische Agrarwirtschaft erzielt mittlerweile Rekorde und ist in der Lage, etwa zu 100 Prozent den Bedarf an Hühnerfleisch und 70 Prozent des Rind- und Schweinefleischbedarfs im Land zu decken. Die sogenannte Importsubstitution funktioniert, urteilt Fellner, zudem geben solche Entwicklungen dem Land "einen Schub an neuem Selbstbewusstsein" - Russland gehe aus den Sanktionen erstarkt hervor, so der nun pensionierte Wirtschaftsdelegierte, der bis Ende 2016 acht Jahre in Moskau tätig war.

Auch Dimitri Trenin, Direktor des Carnegie Centers in Moskau, sagte der "Wiener Zeitung", dass Russland aufgehört habe, sich an dem Westen und an Europa zu orientieren. Die seien für das Land "kein Modell und kein Mentor mehr". Russland suche keine Partnerschaft mit und keine Einbindung in Europa, so der Experte für russische Außenpolitik. Trotzdem bleibt die EU wichtigster Handelspartner Russlands.

Das flächenmäßig größte Land der Welt ist gerade wieder dabei, sich aus möglichst eigener Kraft aus der Rezession "herauszuschälen", sagt Fellner. Die Inflation ist mit knapp sechs Prozent auf einem historisch niedrigen Stand und die Wachstumsrate wird für heuer seit 2014 erstmals wieder mit 0,7 Prozent im Plus liegen. Beim aktuellen Ölpreis wird die Wirtschaft bis 2020 um durchschnittlich 1,5 bis zwei Prozent pro Jahr wachsen.

Der russische Zug rollt wieder

Fellner vergleicht die russische Wirtschaft mit einem Güterzug der Transsibirischen Eisenbahn: Behäbig und lang, kommt sie schwer in Bewegung, aber wenn sie einmal läuft, kann sie viel Kraft entwickeln. Der Zug setzt sich also gerade wieder in Bewegung, "den paradiesischen Zustand von 2013 wird es aber nicht mehr spielen" - auch nicht für viele Exportprodukte Österreichs.

Allerdings bremsen die Sanktionen die Beschleunigung des Wachstums, sagt Fellner. Vor allem die finanzwirtschaftlichen Strafmaßnahmen schmerzen das Land erheblich. "Das Blut des Wirtschaftskreislaufs ist abgeschnitten." So stehen viele Projekte des Landes an, weil die Banken sich schlicht an dem günstigen europäischen und US-amerikanischen Kapitalmarkt nicht finanzieren können.

Und das schlage zurück, denn "wenn den Russen das Geld fehlt, bei uns einzukaufen, zieht das die europäische Wirtschaft mit hinunter", so Fellner. Die 500 österreichischen Niederlassungen in Russland sind jedoch fast alle durch die Krise hindurchgetaucht, beginnen aber auch, sich den neuen Bedingungen anzupassen. So muss nun in Russland produziert werden, um bei staatlichen Aufträgen mitmischen zu können - immer mehr Unternehmen, die einen guten Marktanteil in Russland haben, überlegen sich diesen Schritt, sagt Fellner.

Die größten Chancen für die Exportwirtschaft bieten sich für die Alpenrepublik nach wie vor in Sachen Maschinen- und Anlagenbau, welche 50 Prozent der Exporte ausmachen. Die Zeiten für Obst, Fleisch und Milch aus Österreich sind allerdings vorbei.