Zum Hauptinhalt springen

Russland: Großes Potenzial mit großem Risiko

Von Sissi Eigruber, Moskau

Wirtschaft

"An der Oberfläche hat sich viel verändert, aber die Strukturen sind die gleichen geblieben", lautet das Credo vieler Geschäftsleute, die in Russland tätig sind. Das bedeutet so viel wie: Die richtigen Beziehungen - und oft auch Bezahlungen - auf allen Ebenen sind besonders wichtig. Und: Wer sich nicht an die vereinbarten Spielregeln hält, der hat sofort verloren.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 20 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Ein Faktum, das auch für Inländer gilt und an das sich zum Beispiel Michail Khodorkovsky, der ehemalige Chef des Ölkonzerns Yukos, offensichtlich nicht gehalten hat, als er sich - abgesehen von den steuerlichen Vergehen, die ihm zur Last gelegt werden - politisch engagierte.

Der durch die Yukos-Affäre angerichtete Schaden für das Investitionsklima in Russland sei enorm, hieß es in den vergangenen Monaten immer wieder von Wirtschaftsexperten und Analysten, doch das hohe russische Wirtschaftswachstum (vergangenes Jahr 7,3%, heuer voraussichtlich 7,4%) wischt offensichtlich andere Sorgen vom Tisch: "Den Unternehmen ist bekannt, dass es hier keine Rechtssicherheit gibt, aber das Potenzial ist so hoch, dass sie trotzdem nach Russland kommen", heißt es aus Botschaftskreisen. "Die Unternehmer können viel Geld verdienen, sonst würden sie es nicht machen", bringt der österreichische Handelsdelegierte der Außenwirtschaftsorganisation, Johann Kausl, die Beweggründe auf einen Punkt. Während sich ein Investment in Österreich vielleicht nach 10 Jahren rentiere, seien es in Russland nur 3 bis 4 Jahre. Wobei mit Russland in den meisten Fällen die wirtschaftlichen Zentren Moskau und eventuell noch Sankt Petersburg gemeint sind. Das Interesse der österreichischen Firmen an Russland sei jedenfalls ungebrochen groß. Bisher gebe es rund 1.000 heimische Firmen, die regelmäßig Geschäfte mit Russland machen und rund 300 Niederlassungen von österreichischen Firmen in Russland, so Kausl.

Insbesondere im IT- und Telekommunikationsbereich soll sich das enorme Wachstum der vergangenen Jahre weiter fortsetzen: So hatten vergangenes Jahr laut Statistik nur 25 von 100 Personen in Russland ein Handy. Heute sind es 42 von 100 Personen, wobei das Stadt-Land-Gefälle sehr groß ist. Der geschätzte Anteil der Internet-Nutzer ist von 5,9% auf 7,7% gestiegen.

"Russland ist der richtige Platz für Geschäfte im hoch entwickelten Bereich", wirbt der Vizeminister des russischen Technologie-Ministeriums, Dmitry Milovantsev, im Rahmen eines Pressegesprächs für Investitionen in seinem Land, denn in Russland gebe es hochqualifizierten IT-Spezialisten. Es sei das erklärte Ziel der Regierung, die rohstoffdominierte russische Wirtschaft stärker zu diversifizieren, und in diesem Sinne solle auch der Bereich Informationstechnologie und Telekommunikation weiter ausgebaut werden.

"Der russische IT-Markt ist im Jahr 2003 um rund 23% auf 5,8 Mrd. US-Dollar gestiegen, und auch für dieses Jahr wird ein zweistelliges Wachstumsplus erwartet, das weit über dem 5%-Wachstum der IT-Märkte in Westeuropa liegt", so die Analyse des österreichischen börsenotierten IT-Unternehmen S&T. Der IT-Dienstleister, der seit fünf Jahren in Russland aktiv ist, möchte das Geschäft - auch durch Akquisitionen - weiter ausbauen. Geld für russische und andere Zukäufe soll eine geplante Kapitalerhöhung bringen.

Zu den jetzigen Kunden von S&T gehört auch der Ölkonzern Yukos, erklärt der Vorstandsvorsitzende von S&T, Karl Tantscher. Trotz der Yukos-Krise (der ehemalige Chef sitzt hinter Gittern; dem Unternehmen droht die Insolvenz) befürchtet er keine Zahlungsausfälle. S&T erhalte das Geld für die Serviceaufträge monatlich und er gehe davon aus, dass dies auch weiterhin geschehen werde.

Yukos-IT-Vorstand Andrew Kelmanzon betont: "Das Unternehmen arbeitet". Er gesteht jedoch ein, dass aufgrund der derzeitigen Situation die Projektplanung nur für kürzere Zeiträume erfolge.