Georgien unterzeichnet in Vilnius Handelsabkommen mit der EU.
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"Wiener Zeitung":Sie bezeichnen das EU-Gipfeltreffen in Vilnius, wo Georgien ein umfassendes Handelsabkommen mit der Union initiieren will, als lediglich einen Schritt auf dem Weg Ihres Landes. Ist dessen Ziel der EU-Beitritt?Natalie Sabanadze: Ja, auch wenn wir uns darüber im Klaren sind, dass es ein sehr langfristiges Ziel ist. Aber selbst eine Mitgliedschaft in der EU ist nicht alles. Es geht vielmehr um deren Bedeutung, und das hängt bereits mit dem Abkommen zusammen. Georgien hat diesen Weg gewählt, weil es sich für diese Richtung seiner Entwicklung entschieden hat: Eine stabile europäische Demokratie zu werden. Für die Menschen heißt das unter anderem, reisen zu können, Teil eines Wirtschaftsraumes zu sein, aber auch gemeinsame Werte und Grundrechte zu respektieren.
Braucht Georgien für diese Entwicklung unbedingt die EU?
Die Aussicht auf eine Mitgliedschaft in der Union hat als Karotte für die Länder Ost- und Südosteuropas gut gewirkt. Diese Karotte haben wir zwar nicht in dem Ausmaß, aber das Assoziierungsabkommen kann schon bestimmte Anknüpfungspunkte dafür schaffen und eine Transformation vorantreiben, die wir uns wünschen. Das betrifft nicht nur wirtschaftliche Beziehungen, sondern auch den Bereich der Bildung oder der Zivilgesellschaft. Ich will uns nicht allzu sehr selbst beglückwünschen. Aber Georgien hat schon viel geschafft, worauf die letzten Wahlen hinweisen, die regelkonform verlaufen sind. Doch müssen wir noch vieles erreichen und es festigen.
Wünschen Sie sich dabei mehr Engagement der Europäer?
Es ist schon viel da, auch wenn ich mir eine klarere Perspektive für eine EU-Mitgliedschaft wünschen würde. Wir verstehen aber, dass die EU mit ihren eigenen Gegebenheiten zu ringen hat und viele Dinge Zeit brauchen. Allein zwischen dem Ende der Verhandlungen über das Abkommen und dessen Unterzeichnung wird wohl ein Jahr vergehen. Inzwischen aber darf die EU in ihrem Engagement nicht nachlassen.
Meinen Sie damit auch die EU-Mission, die nach dem Konflikt um Abchasien und Südossetien - die jetzt unter russischem Einfluss sind - vor fünf Jahren nach Georgien geschickt wurde?
Dort sind wir verletzlich, weil wir über diese Provinzen keine Kontrolle haben. Daher sind wir sehr daran interessiert, dass die Europäische Union in den Prozess der Konfliktlösung eingebunden ist. Auch wenn den Vertretern der Europäischen Union - obwohl sie ein Mandat dazu haben - kein Zutritt zu den besetzten Gebieten gewährt wird, ist die Mission äußerst wichtig. Sie sollte fortgesetzt werden.
Erwarten Sie nach der Unterzeichnung des Vertrags mit der EU eine weitere Verschärfung der Lage?
Es ist schwer abzuschätzen, wie sich das entwickeln wird. Die Sicherheitssituation in den Konfliktgebieten ist nicht gut. Entlang der Okkupationslinie bauen russische Soldaten seit einiger Zeit Grenzzäune auf, die wörtlich durch Häuser durchgehen. Zu den Sicherheits- und politischen Problemen kommen also auch humanitäre hinzu. Wir brauchen die Unterstützung unserer internationalen Partner, um eine weitere Isolation dieser Gebiete zu verhindern.
Befürchten Sie ebenfalls für die Wirtschaft eine wachsende Bedrohung von russischer Seite?
Auch da ist die Entwicklung schwer vorherzusehen. Unter russischem Druck standen wir schon zuvor. Seit 2006 gibt es Handelshemmnisse, bis hin zu einem Handelsembargo. Es gab einen Krieg, die diplomatischen Beziehungen wurden beendet. Das Verhältnis ist schlecht, und die neue georgische Regierung kann nur versuchen, es zu verbessern. Auf informeller Ebene wurde ein Dialog gestartet, vor allem zu Handelsfragen. Er brachte auch schon erste Fortschritte: Georgischer Wein und Mineralwasser sind zurück auf dem russischen Markt.
Kann eine Annäherung an die EU all dies aufwiegen? Die Ukraine scheint dies nicht zu glauben: Die kurzfristigen Kosten der Abwendung von Russland wären hoch.
Unser Handelsvolumen mit Russland ist nicht so groß, auch beziehen wir nicht so viel Gas von dort. Unsere Abhängigkeit ist daher um einiges geringer, und damit ist die Situation anders als in der Ukraine oder in Armenien. Doch bleibt das Sicherheitsproblem. Georgien hat für seine Entscheidung für die EU bereits hohe Kosten getragen.
Zur Person
Natalie
Sabanadze
ist Georgiens Botschafterin bei der Europäischen Union.