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Rußland im Würgegriff der Mafia

Von Nicolas Miletitch

Wirtschaft

550 Banken und 40.000 Firmen werden nach Interpol-Schätzungen von ihr kontrolliert, zwischen 50.000 und 100.000 Mitglieder sollen ihr angehören, in bis zu 10.000 Banden ist sie angeblich | organisiert: Die russische Mafia hat weite Teile des politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens des Landes mit ihrem Netz aus Schmuggel, Erpressung und Bestechung, aus Drogenhandel, | Prostitution und Gewalt überzogen. Die Staatsmacht kämpft auf verlorenem Posten.


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"Das Verbrechen berührt alle Bereiche der russischen Gesellschaft, auch die Behörden", sagt Innenminister Sergej Stepaschin. "Die Polizei hat in ihrem Kampf gegen die organisierte

Kriminalität versagt, welche die Fundamente Rußlands untergräbt, indem sie sich in den Machtstrukturen auf allen Ebenen festkrallt".

Nach dem Dafürhalten der Moskauer Staatsanwaltschaft hat die Mafia bereits das Sagen über rund die Hälfte der russischen Wirtschaft. Durch ihre Machenschaften fließen jeden Monat Beträge in

Milliardenhöhe illegal aus dem Land. Durch Geschäfte auf dem Schwarzen Markt verliert der russische Fiskus umgerechnet rund 15,3 Mrd. Euro/211 Mrd. Schilling · soviel, wie das wirtschaftlich

am Boden liegende Land heuer seinen Gläubigern zahlen muß.

Drogenschmuggel,

Korruption, Schmiergeld

Die Polizei mit ihrem geringen finanziellen Spielraum kann wenig ausrichten. Wie ein Tropfen auf den heißen Stein muten kleine Erfolgsmeldungen wie die Beschlagnahmung von 220 kg Heroin in

Astrachan am Kaspischen Meer an. Gerade der Drogenschmuggel ist in Rußland schwer zu kontrollieren, denn das Land liegt auf der Route zwischen den Anbaugebieten in Afghanistan und Pakistan

und den wichtigsten Abnehmerländern in Westeuropa.

Ein anderes drängendes Problem ist die Korruption, die bis in die Spitzen von Regierung und Verwaltung reicht. Im Jänner wurde der frühere Vize-Gouverneur der zentralrussischen Region Twer zu neun

Jahren Gefängnis verurteilt, weil er 250.000 Dollar Schmiergeld in die eigene Tasche gesteckt hatte · als Gegenleistung für die Gewährung von Subventionen an mehrere Firmen in der Gegend.

Aber nicht nur in der Provinz, auch in der Hauptstadt Moskau ist Korruption an der Tagesordnung. Vorigen Sommer wurden der Leiter des staatlichen Statistikamtes und rund 20 Mitarbeiter der

Veruntreuung angeklagt; der frühere Vize-Finanzminister Wladimir Petrow kam in Haft, weil er ein Dollar-"Geschenk" von einer Moskauer Bank angenommen hatte. Georgi Satarow, ein ehemaliger

Mitarbeiter von Präsident Boris Jelzin, ist der Ansicht, daß von den Gewinnen kleiner und mittelgroßer Unternehmen 10% für Bestechung draufgehen.

Polizei ist machtlos, Auf-

tragskiller haben Hochsaison

Machtlos steht das Häuflein Aufrechter der zunehmenden Gewalt gegenüber. Die Moskauer Polizei schrieb 1.700 Morde 1997 Auftragskillern zu; für die ersten neun Monate 1998 vermutet sie in 948

Fällen gedungene Mörder.

Was es bedeutet, gegen das organisierte Verbrechen aufzubegehren, steht vielen Russen durch das schreckliche Ende der Galina Starowoitowa angstvoll vor Augen: Die Petersburger Abgeordnete, die mutig

gegen Filz und Korruption ihre Stimme erhob, wurde im November auf offener Straße erschossen. Die Mörder sind nicht gefaßt.