Vergangene Woche setzte Russland mit dem Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) einen Pfeiler der europäischen Sicherheitsarchitektur außer Kraft. Es war kein Zeichen der Stärke, sondern der Schwäche. Nun signalisierte der russische Aussenminister wieder Dialogbereitschaft.
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Seit seiner antiwestlichen München-Rede zu Beginn dieses Jahres ließ es der russische Präsident Wladimir Putin außenpolitisch richtig krachen. Und schließlich folgten auch Taten seinen Drohungen: Am Mittwoch vergangener Woche trat das russische Moratorium für den Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag), den die Nato als Eckpfeiler der europäischen Sicherheitsarchitektur bezeichnet, in Kraft. Putin hatte das entsprechende Gesetz knapp vor der Parlamentswahl unterzeichnet.
Vordergründiger Anlass sind die US-Pläne zur Errichtung einer Raketenabwehr in Tschechien und Polen. Moskau sieht dadurch seine Sicherheit bedroht. Der Kreml will das Projekt entweder verhindern oder stärker daran beteiligt sein. Um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen, erwog Russland gar den Ausstieg aus dem INF-Vertrag über die Abrüstung nuklearer Mittelstreckenraketen und drohte mit der Stationierung entsprechender Raketen in Weißrussland.
Im Westen werden Moskaus Muskelspiele derweil einerseits verharmlost, indem sie als Wahlkampfrhetorik interpretiert werden. Andererseits werden sie als Vorboten eines neuen Kalten Krieges überdramatisiert. Die Wahrheit dürfte dazwischen liegen: "Es geht um mehr als nur die US-Raketenabwehr. Es geht darum, dass der Westen Russland als gleichberechtigten Partner respektiert", sagt der russische Sicherheitsexperte Wladimir Ewsejew.
Russland ist sich über seine militärische Schwäche im Bilde und kann kein Interesse an der Zerstörung internationaler Abrüstungsverträge haben. Im Gegenteil: Es ist besorgt, wie die USA in Fragen der Sicherheit nicht auf Verträge, sondern Stärke setzen.
Dazu gehört nicht nur der amerikanische Ausstieg aus dem ABM-Vertrag zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen 2002, sondern auch die Kriege im Irak und Kosovo unter Umgehung des UNO-Sicherheitsrates sowie die Ost-Erweiterung der Nato. "Dieses militärische Potential macht Russland Angst", erklärt Ewsejew.
Das Moratorium des KSE-Vertrages ist daher wohl eher als ein Zeichen der Schwäche zu verstehen, um russischen Bedenken Gehör zu verschaffen. In diesem Sinne kommt auch das am Dienstag in einem Artikel für das "Handelsblatt" geäußerte Angebot Außenministers Sergej Lawrows zum Dialog und zur Aushandlung eines neuen KSE-Regimes nicht überraschend. Die Vereinigten Staaten und Europa täten gut daran, es anzunehmen, wollen sie den Hardlinern im Kreml nicht zusätzliche Munition liefern.