Russlands Verteidigungsminister räumt Niederlage ein in vor kurzem zu russischem Staatsgebiet erklärten Region.
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Die Nachrichten, die die russischen Soldaten per Kurznachricht oder Telefon aus Cherson nach Hause schicken, klingen schon seit Wochen düster. Die Soldaten berichten ihren Angehörigen von zunehmend chaotischen Situationen in der seit Anfang März besetzten Oblast-Hauptstadt und von schwierigen Verzögerungsgefechten angesichts der langsam aber beständig vorrückenden ukrainischen Truppen. Immer wieder ist auch von der prekären Versorgungslage die Rede, die sich durch die permanenten Angriffe auf die russischen Versorgungswege zuletzt weiter und weiter verschlechtert hatte.
Schon seit Wochen lassen sich die ehemals knapp 300.000 Einwohner zählende Stadt und ihr Umland nur über Fährverbindungen versorgen, weil die schwer beschädigte Antonowskyj-Brücke, die die einzige Verbindung über den mehrere hundert Meter breiten Dnjepr darstellt, unter ukrainischem Artilleriebeschuss liegt. Cherson, so waren sich westliche Militärexperten einig, würde sich auf Dauer nicht halten lassen.
Doch bisher hat Russland mit einem Abzug gezögert. Zu prestigeträchtig war die bisher einzige Eroberung einer ukrainischen Oblast-Hauptstadt. Nun aber scheint der Kreml die Konsequenzen aus der sich stetig verschlechternden Lage gezogen zu haben. Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu ordnete am Mittwochnachmittag den offiziellen Rückzug vom Westufer des Dnjepr an.
Vize-Besatzungschef tot
Der Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte in der Ukraine, General Sergej Surowikin, begründete den Schritt auch explizit damit, dass Cherson nicht mehr mit Nachschub zu versorgen sei. "Wir werden die Leben unserer Soldaten und die Kampfkraft unserer Einheiten sichern", sagte Surowikin in einer im Fernsehen übertragenen Rede. Beabsichtigt sei nun, dass die Streitkräfte sich auf das Halten des Ostufers des Dnjepr konzentrieren sollten.
Im Rahmen des Abzuges dürfte auch eine Brücke, die über einen Dnjepr-Seitenarm führt, gesprengt worden sein. Im Internet kursierten zahlreiche entsprechende Bilder, die Aufnahmen konnten allerdings nicht unabhängig verifiziert werden.
Zugleich berichteten russische Nachrichtenagenturen vom Tod des von Moskau in Cherson als Vize-Chef der Besatzungsverwaltung eingesetzten Kirill Stremousow. Stremousow, der laut russischen Angaben bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist, war eine der bekanntesten Figuren in Cherson. Er hatte zuletzt immer wieder angedeutet, dass Russland seine Truppen aus dem Gebiet um das Westufer des Dnjepr abziehen könnten.
Stremousow war in den vergangenen Wochen auch daran beteiligt gewesen, zehntausende Menschen auf die andere Seite des Flusses zu bringen. Während der Kreml von Evakuierungen angesichts der heranrückenden ukrainischen Armee spricht, dürfte es sich dabei in vielen Fällen um eine Zwangsumsiedlung von Ukrainern handeln.
Kiew reagiert skeptisch
Die ukrainische Regierung warnte am Mittwoch vor einer Überbewertung der Ankündigung aus Moskau, die wohl die schwerste Niederlage seit dem russischen Rückzug aus der Region um Kiew bedeuten würde. Es sei zu früh, um tatsächlich von einem Abzug zu sprechen, sagte Präsidentenberater Mychailo Podoljak der Nachrichtenagentur Reuters. Es verblieben offenbar einige russische Truppen in der Stadt, zudem würden zusätzliche Kräfte in die Region beordert. Die Ankündigungen aus Moskau und die Handlungen vor Ort seien mitunter höchst unterschiedlich. Solange nicht die ukrainische Flagge über Cherson wehe, könne von einem russischen Rückzug nicht gesprochen werden.
Die Region Cherson ist für Russland auch deshalb wichtig, weil sie an die ukrainische Halbinsel Krim grenzt, die die Regierung in Moskau bereits 2014 völkerrechtswidrig annektierte. Sollten sich die russischen Streitkräfte auch aus der Gegend östlich und südlich des Dnjepr zurückziehen müssen, wäre die jetzt durch die besetzten Gebiete vorhandene Landbrücke zwischen Russland und der Krim gekappt. (rs)