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Syrisches Regime setzt offenbar auch Phosphor- und Napalm-Bomben ein.
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Damaskus/Moskau. Seit März 2011 tobt der Aufstand in Syrien und schrittweise gewinnen die Rebellen die Oberhand. Die Opposition hat sich in zahlreichen Städten im Norden und Westen des Landes festgesetzt, die Armee hat die Kontrolle über weite Landstriche verloren.
Es gibt keine Hinweise, dass die Verbände des Regimes das verlorene Territorium je wieder zurückerobern werden. In der Hauptstadt Damaskus verteidigen Gegner des syrischen Machthabers Bashar al-Assad einen durchgängigen Bereich, der sich vom Osten bis zum Südwesten der Stadt erstreckt. Die Armee kann hier trotz erbitterter Angriffe nicht vorrücken. Dazu kommt, dass Rebellen-Stoßtrupps überall im Stadtgebiet operieren und mittlerweile fast täglich Überfälle und Anschläge verüben. Ziele sind Polizeistationen, Ministerien oder hochrangige Offiziere. Unter den Opfern sind aber zunehmend Zivilisten, darunter Frauen und Kinder. Die Feinde des Diktators verfügen jetzt über schwere Waffen, Panzer und Artillerie, zuletzt wurde ein Kampfjet der Armee mit neuen Fliegerabwehrraketen vom Himmel geholt. Die Zufahrtsstraße zum internationalen Flughafen ist Schauplatz von Kämpfen, internationale Airlines fliegen die Destination schon längst nicht mehr an.
Das Regime greift in dieser Situation zu immer drastischeren Mitteln. Laut Nato-Quellen haben Assads Streitkräfte damit begonnen, Rebellen-Stellungen im Norden mit Scud-Raketen zu beschießen. Ein weiterer Hinweis darauf, dass das Regime mit dem Rücken zur Wand steht und um sich schlägt. Denn die Kurzstreckenraketen sowjetischer Bauart sind wenig präzise, ihr militärischer Wert ist gering. Eine Parallele zum Bürgerkrieg in Libyen drängt sich auf. Dort begannen die Gaddafi-Truppen im August 2011 erstmals Sud-Raketen einzusetzen, als der Fall von Tripolis und damit die Niederlage des verhassten Diktators unmittelbar bevorstand. Der Einsatz derartiger Waffen wird von Syrien bestritten und auch vom Weißen Haus vorerst nicht bestätigt.
Terror gegen Zivilisten
Die Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" berichtet, dass die syrische Armee mit Phosphor und Napalm gefüllte Bomben über Wohngebieten abwirft. Nach Erkenntnissen der Organisation werden zwei Waffensysteme sowjetischer Bauart eingesetzt, die 48 Einzelsprengsätze über eine Fläche von der Größe eines Fußballfelds verteilen. Die Brandbomben sollen in einem Vorort von Damaskus und in der umkämpften Provinz Homs zum Einsatz gekommen sein.
Dass Assad den Bürgerkrieg nicht gewinnen kann, steht jetzt auch für Russland fest. Der treueste Verbündete Assads hat bisher alle weitreichenden Maßnahmen und eine militärische Intervention verhindert; jetzt muss man im Kreml erkennen, dass ein starres Festhalten an dem wankenden Diktator und damit an einer verlorenen Sache nicht sinnvoll ist. Man werde den Fakten ins Auge sehen, ließ Vize-Außenminister Mikhail Bogdanov am Donnerstag wissen, und könne einen Sieg der Opposition nicht mehr ausschließen. Das syrische Regime verliere "unglücklicherweise" immer mehr an Boden, so Bogdanov, Moskau habe Pläne zur Evakuierung russischer Staatsbürger in der Schublade.
Das Statement bedeutet nicht, dass Russland seine Haltung unmittelbar ändert und das syrische Regime nicht mehr unterstützt. Im Kreml sucht man aber nach einer Alternative zu dem bedrängten Diktator.
Tag X rückt näher
Auch die deutsche Bundesregierung geht davon aus, dass es einen Präsidenten Assad nicht mehr lange geben wird. Die Macht des Regimes erodiere, so Außenminister Guido Westerwelle. Für Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen ist Assads Ende nur noch eine Frage der Zeit, wobei der Tag X nicht mehr allzu fern sei: "Das Regime in Damaskus nähert sich dem Zusammenbruch", so Rasmussen.
Siegessicher sind auch die syrischen Rebellen. Eine Intervention ausländischer Kräfte sei jetzt nicht mehr nötig, so der neue Oppositionschefs Muas al-Chatib, die Syrer könnten sich selbst schützen - und siegen. Noch vor wenigen Monaten hatte die Opposition den Westen um militärische Hilfe gebeten, das ist jetzt passé. Die Rebellen werden bereits über türkisches Territorium mit Waffen und Sprengstoff aus den Golfstaaten versorgt. Jetzt zeigen sie sich bereit, mit Assad über die Bedingungen einer Kapitulation zu verhandeln. Es bestehe immer noch die Option, dass Assad ins Exil gehe, heißt es. Assad müsse wissen, dass er künftig "keine Rolle mehr" in Syrien spielen werde.