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Russland spaltet Bulgarien

Von Hans-Peter Siebenhaar

Wirtschaft

Die Übergangsregierung will erneut Verhandlungen über Gaslieferungen mit Gazprom aufnehmen.


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Bulgarien steht vor einer Zerreißprobe. Das EU-Land ist in der Gas-Versorgungskrise tief gespalten über den richtigen Umgang mit Russland und seinem staatlichen Energiekonzern Gazprom.

Während der proeuropäischen Kräfte eine Wiederaufnahme des Liefervertrages mit dem Petersburger Energieriesen ablehnen, befürwortet die Übergangsregierung unter Ministerpräsidenten Galab Donew die umstrittenen Gespräche. "Als geschäftsführende Regierung wollen wir das zu Ende führen, was wir als Vereinbarung bereits haben", sagt der 55-jährige Ökonom in einem TV-Interview. Der langfristige Vertrag mit Gazprom läuft erst Ende 2022 aus.

Mit seiner Entscheidung kommt Donew den prorussischen Kräften in dem Balkanland entgegen. Anfang August hatte der russlandfreundliche Staatspräsident Rumen Radew die Übergangsregierung aus Experten unter Führung von Donew eingesetzt.

Nach nur einem halben Jahr war die liberal-sozialdemokratische Koalition des Ministerpräsidenten Kiril Petkow von der Partei "Wir setzen den Wandel fort" bereits gescheitert. Ein Misstrauensvotum stürzte die proeuropäische Regierung. Alle späteren Versuche, eine neue stabile Regierung in Sofia zu bilden, scheiterten. Deshalb waren die geplanten Neuwahlen der einzige Ausweg aus der politischen Misere.

Die prowestliche Vorgängerregierung hatte Ende April den Vertrag mit der Gazprom eingestellt. Sofia wollte die Rechnungen nicht in Rubel zahlen, was der weltgrößte Gaskonzern zuvor verlangt hatte. Mit seiner Entscheidung, mit Gazprom über Gaslieferungen zu verhandeln, spaltet die Übergangsregierung das Land. Die Proteste gegen die Wiederaufnahme des Gasliefervertrags in der Hauptstadt Sofia nehmen zu.

Zu den Demonstrationen kam es auch in der Schwarzmeer-Stadt Varna und der zweitgrößten Stadt Plowdiw. Die Furcht der Demonstranten ist, dass nach einer Wiederaufnahme der Gaslieferung durch Russland der Einfluss Putins auf die Wirtschaft in dem EU-Land wieder verstärken könnte. Die politischen Auseinandersetzungen werden an Fahrt gewinnen, denn am 2. Oktober wählen die Bulgaren ein neues Parlament. Es ist bereits die vierte Wahl seit Frühjahr vergangenen Jahres.

Abhängigkeit von Moskau

Traditionell besitzt Russland in Bulgarien großen Einfluss. Moskau galt über Jahrzehnte als verlässlicher Freund. Schließlich ist das ärmste Land der EU von den Gaslieferungen des staatlichen Energiekonzerns Gazprom abhängig. Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine änderte sich das Verhältnis radikal. Die prowestliche Regierung unter Petkow stand fest an der Seite der Sanktionsbefürworter in der EU. Bulgarien gehörte daher zu den ersten EU-Ländern, bei denen Moskau den Gashahn abdrehte. Das hat politische Folgen.

Nicht zuletzt aufgrund der stark gestiegenen Preise für Energie und Lebensmittel haben die prorussischen Kräfte in der bulgarischen Gesellschaft Auftrieb. Beobachter erwarten bei den Wahlen Anfang Oktober einen Stimmenzuwachs für prorussische Parteien bei den Parlamentswahlen im Herbst. Es wird nach Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden früheren Ministerpräsidenten und Harvard-Absolventen Petkow und Bojko Borissow, Chef der rechtskonservativen Partei GERB, erwartet. Die jetzige Regierung unter dem früheren Arbeits- und Sozialminister Donew versucht derzeit, die größten Herausforderungen wie die Versorgungssicherheit mit Energie und Lebensmittel sicherzustellen und den Kampf gegen die weit verbreitete Korruption fortzuführen.

Keine Rubel - kein Gas

Als Anrainerstaat des Schwarzen Meeres pflegt Bulgarien seit dem Fall des Eisernen Vorhangs ein konstruktives Verhältnis zu Russland. Die Beziehungen erreichten nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges einen Tiefpunkt. Sofia hatte rund 70 russischen Diplomaten des Landes verwiesen. Mit der Weigerung, die Gasrechnungen in russische Rubel zu zahlen, verlor Bulgarien im April den Quasi-Monopolisten Gazprom als Lieferanten. Bulgarien deckte bis zum russischen Angriff auf die Ukraine mehr als 90 Prozent seines Gasbedarfs mit Lieferungen aus Russland ab.

Für die Wiederaufnahme der Gespräche mit den Russen über Gaslieferungen gibt es Unterstützung aus der bulgarischen Wirtschaft. Verbände, aber auch Gewerkschaften fordern, Möglichkeiten mit Moskau über mögliche Gaslieferungen zu sondieren, um Schaden von der heimischen Industrie abzuwenden.

Wie lange die Gasreserven in Bulgarien reichen werden, ist umstritten. Derzeit spricht das Land auch mit Aserbaidschan über die Lieferung zusätzlichen Gases. Derzeit erhält Bulgarien rund eine Milliarde Kubikmeter Gas aus Aserbaidschan. Der Jahresbedarf liegt bei rund drei Milliarden Kubikmeter.

Keine schnelle Lösung in Sicht

Aus russischer Sicht braucht es für die Fortsetzung der Gaslieferungen nach Bulgarien keinen neuen Vertrag. Bedingung sei vielmehr, dass das Gas, wie von Moskau gefordert, in Rubel bezahlt werde, sagte die russische Botschafterin in Bulgarien, Eleonora Walentinowna Mitrofanova. Die 69-Jährige ist ein politischer Profi. Zwischen 2001 und 2003 war sie stellvertretende Generaldirektorin der Unesco.

Wie schnell die Gespräche zwischen Sofia und Gazprom zum Erfolg führen, ist offen. Energieminister Rossen Hristov sagte, er erwarte keine einfachen und schnellen Verhandlungen. "Die Gespräche werden sehr hart und sehr schwierig sein", sagte er kürzlich in Sofia. Sollte sich Bulgarien auf dieses Zugeständnis einlassen, hätte das einen Gesichtsverlust auf europäischer Bühne zur Folge. Denn damit schert 6,5 Millionen Einwohner großer Balkanland aus der Solidarität innerhalb der EU gegenüber Russland aus. Der außenpolitische Schaden wäre daher eine schwere Belastungsprobe für die neue Regierung in Bulgarien.