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Russlands Hinterhof ist instabil

Von Gerhard Mangott

Gastkommentare
Gerhard Mangott ist Professor für Politikwissenschaft mit einem speziellen Fokus auf den Bereich Internationale Beziehungen und Sicherheit im postsowjetischen Raum. Er lehrt am Institut für Politikwissenschaft in Innsbruck und ist Lektor an der Diplomatischen Akademie in Wien.
© privat

Für den Kreml kamen die jüngsten Unruhen in Kasachstan ungelegen.


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Voreilig war so mancher westliche Kommentar, der in den bewaffneten Unruhen in Kasachstan eine weitere Variante von anti-autoritärem Regimewechsel gesehen hat. Das gewohnte Narrativ, wonach freiheitsliebende Demokraten ein repressives Regime stürzen, war diesmal nicht anwendbar. Auch die Manifestationen des Aufstandes waren unterschiedlich: Die gewalttätigen Protestaktionen
von Almaty waren nicht vergleichbar mit den friedlichen Demonstrationen im westlichen Kasachstan.

Allen gemeinsam war sicher die Unzufriedenheit über die wirtschaftliche und soziale Lage im Land. Die kasachische Volkswirtschaft steckt in der Rezession, die Reallöhne gehen seit langem zurück, gerade für junge Menschen gibt es kaum Perspektiven, und die Inflation ist äußerst hoch - sie lag zuletzt bei 8,9 Prozent. Die kleptokratische Führungsschicht, die das Land autoritär regiert, ist unbeliebt oder gar verhasst. Jahrelange Reformversprechen wurden niemals Wirklichkeit. Die Selbstbereicherung der Eliten des rohstoffreichen Landes war und ist enorm.

Aber die Proteste auf der Straße waren nicht die einzige relevante Arena. Eine zweite Arena waren die Elitenauseinandersetzungen hinter den Kulissen, mit denen der Nasarbajew-Clan entmachtet werden sollte. Kann gut sein, dass die brutale Gewalt auch von einem dieser Clans organisiert wurde. Noch ist nicht klar, wie sich die neuen Machtverhältnisse gestalten werden. Präsident Kassym-Schomart Tokajew, der zur Niederschlagung der Proteste zu massiver Gewalt gegriffen hat, wird politische und wirtschaftliche Reformen liefern müssen, wenn er seine Autorität wieder festigen will.

Noch offen ist, ob Tokajew das Hilfeersuchen an das russisch geführte kollektive Sicherheitsbündnis OVKS schaden wird. Ausländische Truppen werden von den meisten ethnischen Kasachen sicher nicht wohlwollend gesehen. Die derzeit rund 2.500 stationierten Bündnissoldaten sollen zwar nur vorübergehend bleiben, aber ob das tatsächlich passieren wird, ist keineswegs sicher. Aber Tokajew hatte keine Wahl: Ohne russische Hilfe hätte er die Macht verloren.

Für Russland kam der Zeitpunkt der Unruhen ungelegen. Die ganze Aufmerksamkeit der russischen Führung ist auf die Verhandlungen mit den USA und der Nato über die russischen Forderungen nach Sicherheitsgarantien konzentriert. Die militärische Schlagkraft soll an den Grenzen der Ukraine gebündelt werden. Auch politisch ist für Russland das Geschehen in Kasachstan unangenehm. Nach Armenien und Belarus wird nun ein dritter Bündnispartner des Kremls durch innere Instabilität erschüttert. Der Nachbarschaftsraum Russlands ist also nicht stabil. Russland ist jetzt erneut als Ordnungsmacht gefragt.

Schon gibt es Stimmen, die meinen, Kasachstan sei nun zu einem russischen Vasallenstaat geworden. Für eine solche Einschätzung ist es sicherlich zu früh. Das bisher so stark auf seine Souveränität bedachte Kasachstan könnte aber an Handlungsfreiheit verlieren. Präsident Tokajew hat sich in Bedrängnis an Russland gewandt. Der Kreml wird dafür einen Preis verlangen. Politik ist nie selbstlos - aber nicht immer erreicht die Politik ihre Ziele.