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Russlands paradoxes Verständnis von Völkerrecht

Von Wolfgang Tucek

Analysen

Russland hat immer gedroht, Südossetien und Abchasien möglicherweise anzuerkennen, falls der Kosovo von den USA und den EU-Staaten anerkannt wird. Mit der Verwirklichung dieses Schritts in der Vorwoche hat sich Moskau allerdings nicht nur eines Druckmittels in internationalen Verhandlungen beraubt. Auch ihren völkerrechtlichen Standpunkt zum Kosovo führt die russische Führung damit ad absurdum. Denn ist die Anerkennung des Kosovo der russischen Lesart folgend illegal, so ist es jene von Südossetien und Abchasien schon lange. Zumindest drei Punkte machen nämlich die erste nach internationalem Recht plausibler:


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Die frühere südserbische Provinz wurde bereits 1999 per UN-Sicherheitsratsresolution der Verwaltungshoheit Serbiens entzogen; bei den beiden abtrünnigen georgischen Gebieten gab es so etwas nicht. Unter UNO-Ägide geführte internationale Statusverhandlungen zum Kosovo unter Mitwirkung Moskaus wurden schließlich abgebrochen. Ähnliche Gespräche haben zu Südossetien und Georgien nicht stattgefunden.

Der Völkermord der Serben an den Kosovaren ist darüber hinaus anerkannt und hat in der erwähnten UN-Resolution gegipfelt. Der von den Russen bemühte "Völkermord" an Osseten durch das georgische Militär werde etwa von der Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch nicht bestätigt, meinte der zuständige US-Abteilungsleiter im Außenministerium, Matthew Bryza. Um maximal 100 Tote handle es sich statt der von Russland ins Treffen geführten 2000.

Wenn Moskau seine Anerkennung von Südossetien und Abchasien als unabhängige Staaten als legal im Sinne des Völkerrechts betrachtet, weil der Kosovo der Präzedenzfall sei, so müsste es genau diesen logischerweise ebenso als legal betrachten.

Nach der Unabhängigkeit des Kosovo habe im Westen der Ruf nach der territorialen Integrität Serbiens völlig gefehlt, monierte der russische EU-Botschafter Wladimir Tschisow. Und jetzt poche der Westen auf die Unversehrtheit des georgischen Staatsgebiets. Eine weitere Erläuterung des russischen Paradoxons lieferte der sonst um keine Erklärung verlegene Tschisow aber nicht.