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Russlands Zonen vitaler Interessen

Von Gerhard Mangott

Gastkommentare

Russland ist verwundbar geworden. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat gezeigt, wie anfällig das Land für externe Schocks ist. Wenn Marktpreise und Nachfrage nach Energieträgern und Metallen sinken, steigt das Haushaltsdefizit, die volkswirtschaftliche Leistung stagniert, staatliche Ausgaben - auch für militärische Belange - werden beschnitten. Der Arbeitsmarkt gerät unter Druck, nicht zuletzt für die Arbeitsmigranten aus den Nachbarländern Russlands. Das schwächt Russlands Soft Power in diesem Raum, das russische Modell verliert an attraktiver Zugkraft; Investitionen russischer Unternehmen auf diesen Auslandmärkten gehen zurück - und damit ein wichtiger Hebel, die Nachbarstaaten wirtschaftlich und finanziell zu kontrollieren.


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All dies verringert Russlands Kraft, die vitalen Interessen in diesen Ländern durchzusetzen. Das hält das Land nicht davon ab, die Nachbarn als besondere Einflusszone anzusehen, die gegen das Vordringen anderer Mächte - allen voran der USA und der EU - verteidigt werden müssen. Den Anspruch auf besondere Einflusszonen zu bestreiten, ist müßig. Großmächte haben Zonen vitaler Interessen. Das gilt für Russland ebenso wie für die USA, China aber auch die EU. Deren Anstrengung für den südlichen Gaskorridor ist von vitalem wirtschaftlichen Interesse, aber eben auch ein Versuch, besondere Präsenz und Einfluss in der Südflanke Russlands zu sichern. Die Instrumente, um solche besonderen Einflusszonen zu schaffen und zu stabilisieren, sind vielfältig: Dazu gehört weiche wie harte Macht, in Russlands Fall auch militärische.

In der Ukraine und im südlichen Kaukasus überlagern einander die hegemonialen Ansprüche Russlands, der USA und der EU. Die Ukraine ist ob ihrer geopolitischen Lage sowohl für die EU und die USA als auch für Russland eine strategische Zone. Der Wettbewerb um strategische Kontrolle über dieses Land ist scharf und zuweilen aggressiv. Diese Rivalität zu leugnen wäre absurd - für alle daran beteiligten Akteure.

Russland konnte seit dem Machtwechsel in Kiew seine Interessen stärker durchsetzen; USA und EU haben relativ an Einfluss verloren. Aber auch die russische Führung kann die ukrainische Elite nicht nach eigenem Willen kontrollieren und lenken. Auch ist der Versuch, die hegemoniale Kontrolle über die Ukraine zu bekommen, reversibel; nicht zuletzt weil auch innerhalb der Ukraine starke Kräfte - allen voran finanzstarke Eigentümer im Rohstoff- und Schwerindustriesektor - gegen die russische Bevormundung wirken.

Russland vorzuwerfen, die politische, wirtschaftliche und militärische Kontrolle über seine Nachbarstaaten zu erlangen, ist absurd. Alle Großmächte folgen dieser Logik - Russland eben auch. Aber ebenso ist es nachvollziehbar, warum andere Staaten diesem Kontrollanspruch mit eigenen Mitteln und Instrumenten entgegenwirken (sollten).

Der russischen Hinterhofpolitik gilt es nun westliche Vorhofpolitik entgegenzusetzen.

Reinhard Mangott ist Politikwissenschafter und Russland-Experte am Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP).