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Rusty Schweickart - ein Astronaut vom Schlage Kennedys

Von Wolfgang Machreich

Reflexionen
Rusty Schweickart im Oktober 2019 bei der Eröffnung der Ausstellung im Naturhistorischen Museum Wien zum 50. Jahrestag der ersten bemannten Mondlandung.
© Wolfgang Machreich

Fünf Minuten allein im All reichten dem Raumfahrer der Apollo-9-Mission, um die "kosmische Geburt" der Menschheit zu entdecken - und ihre Zukunft in den Sternen.


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Rusty Schweickart hat John F. Kennedy beim Wort genommen. Er fragte nicht, was sein Land für ihn tun könne, sondern was er für sein Land tun konnte. Schweickart konnte fliegen. Als ihn die NASA 1963 mit 13 weiteren Astronauten für das Apollo-Programm auswählte, war er - seine Flugstunden zusammengerechnet - bereits ein halbes Jahr in Jet-Cockpits gesessen und hatte ein Masterstudium in Luft- und Raumfahrt absolviert.

Von klein auf interessierte den 1935 in New Jersey geborenen Russel Louis Schweickart mehr als alles andere der Himmel über ihm, das Fliegen, die Sterne, erzählt er seinen Werdegang im Interview mit der "Wiener Zeitung": "Ich weiß nicht, was ich in meinem Leben gemacht hätte, wenn ich nicht Astronaut geworden wäre. Ich wollte höher fliegen, ich wollte schneller fliegen, da blieb mir zwangsläufig nur das All."

US-Präsident John F. Kennedy gab die Richtung vor: zum Mond und zurück!
© Cecil Stoughton/White House

Die USA waren zu dieser Zeit der richtige Ort für Schweickart und seine hochfliegenden Job-Träume. "Ich glaube, dass diese Nation sich dazu verpflichten sollte, noch vor dem Ende dieses Jahrzehnts das Ziel zu erreichen, einen Menschen auf dem Mond landen zu lassen und ihn dann sicher wieder zur Erde zurückzubringen", erklärte US-Präsident Kennedy 1961 vor dem Kongress und startete damit das Apollo-Weltraumprogramm. Fünf Monate vor dem Ende der Kennedy-Frist wurde das Ziel Realität und aus Neil Armstrongs legendärem "kleinen Schritt" von der Leiter der Landefähre auf die Mondoberfläche am 20. Juli 1969 ein "gewaltiger Sprung für die Menschheit".

Schweickart nennt seinen Kollegen Armstrong "Kolumbus". Und welche Rolle hatte er bei der Entdeckungsfahrt zum Mond? "Ich war einer im Apollo-Team, einer von vielen."

Apollo-Wunderteam

Das Treffen mit Rusty Schweickart fand Ende des Vorjahrs am Rande der Ausstellungseröffnung "Der Mond. Sehnsucht, Kunst und Wissenschaft" im Naturhistorischen Museum (NHM) Wien statt. "Das ist eine Eigenproduktion", schwärmte NHM-Direktor Christian Köberl, "die sehen Sie nirgendwo anders als bei uns." Diese Exklusivität galt in jedem Fall auch für den Ehrengast, den die Aura der US-Freiheitsideale aus den "Ich bin ein Berliner"-Zeiten noch immer umweht.

Schweickart war einer der Stürmer im Apollo-Wunderteam, bereits ganz nah dran am Mond-Strafraum, einer, der den Apollo-11-Stars die Bälle zuspielte, mit denen Armstrong & Co. schließlich das Siegestor in der Mond-Champions-League schossen. "Wir haben den Mond als Ziel gewählt, nicht weil es leicht zu erreichen ist, sondern gerade, weil es schwierig ist", sagte Kennedy in einer anderen Rede, mit der er die Amerikaner für das sehr viel Steuergeld kostende Ziel einschwor. Und auch Schweickart erinnerte bei seiner Ansprache im NHM daran, dass die mathematischen Berechnungen von einer geringen Erfolgswahrscheinlichkeit der Mondlandung ausgingen. Warum es dennoch funktionierte, erklärte er so: "Alle Beteiligten haben so viel mehr geleistet."

Die Crew von Apollo 9 (v.l.n.r.): Commander James A. McDivitt, David R. Scott und Russell L. "Rusty" Schweickart.
© Nasa

Es klingt paradox, aber im Nachhinein betrachtet war die wichtigste Leistung des Astronauten Schweickart für den Erfolg des Apollo-Projekts, dass er krank wurde. Seine Schwäche zeigte den Apollo-Wissenschaftern, dass dieses Risiko beherrschbar ist - und den ihm folgenden Astronauten, dass sie sich davor nicht fürchten mussten.

Am 3. März 1969 flog Schweickart mit Apollo 9 ins All. Pilot Schweickart entfernte sich mit der Mondfähre 100 Meilen vom Kommando-Raumschiff, kam zurück und wurde wieder angedockt. Ein Erfolgsflug auf ganzer Linie: Mondfähre und Apollo-Raumanzug bestanden die Tests, sämtliche Rendezvous- und Kopplungsmanöver funktionierten. Ausrüstung und Know-how für eine erfolgreiche Mondlandung waren somit komplett, nur der Faktor Mensch bereitete noch Kopfzerbrechen. Denn Schweickart bekam vor seinem Außenbordeinsatz die Weltraumkrankheit.

"Das schaute im ersten Moment nach einer ernsten Bedrohung aus, das Kennedy-Ziel doch nicht zu erreichen", sagt er. Heute weiß man, dass 40 Prozent aller Raumfahrer diese Phase durchmachen. Damals kamen die Mediziner in Cape Canaveral anhand von Schweickarts Krankheitsverlauf zur Überzeugung, dass die Übelkeit nur zu Beginn eines Raumfluges auftrete, sich der Astronaut aber bis zur Ankunft am Mond wieder erholt haben sollte.

Um den kranken Schweickart nicht zu überfordern, verkürzte man seinen Außenbordeinsatz. Eigentlich hätte er das Umsteigen im freien Raum simulieren und sich entlang eines Handlaufs bis zur Luke der Apollo-Kommandokapsel hangeln sollen. Damit wollte man eine Rückkehr der Astronauten sicherstellen, sollte die Mondlandefähre nicht mehr an das Raumschiff andocken können.

Doch diese Übung wurde gestrichen, statt der geplanten mehr als zwei Stunden bekam Schweickart nur eine gute Dreiviertelstunde für seinen Außendienst. Der Weltraum-Ausstieg war minutiös durchgetaktet, Stress pur für das ganze Team, da hörte Schweickart im Kopfhörer das Kommando: "Bleib genau dort, Rusty, beweg dich nicht." Die Filmkamera blockierte, mit der Schweickarts Entlanghangeln an der Außenhülle der Raumfahrzeuge gefilmt wurde. In fünf Minuten sollte das Problem gelöst sein.

Blick zur Erde

Fünf Minuten Zeit zum Durchschnaufen für Schweickart, fünf Minuten Laissez-faire im Weltall-Nichts, fünf Minuten, die Rusty Schweickarts Blick auf die Welt völlig verändern sollten. Gut 50 Jahre nach seinem Weltraum-Turnen entschuldigt sich Schweickart im Gespräch, dass er jetzt "philosophisch" werde.

Rusty Schweickart im Außeneinsatz.
© Nasa

Doch in diesen fünf Minuten Zwangspause dachte Schweickart nicht an den Missionsplan und seine Aufgaben, sondern er drehte sich um und schaute auf die Erde hinunter. Schön und blau sah er sie, umgeben von der hellen Atmosphäre, der Grenze zwischen dem Leben auf der Erde und der Unendlichkeit rundherum. Die "wichtigste Grenze für die gesamte Menschheit", nennt sie Schweickart, "dünn wie eine Apfelschale".

Nach ein paar Momenten war die Kamera wieder einsatzbereit, musste der Astronaut wieder funktionieren, doch die wenigen freien Momente reichten Schweickart aus, um vom Raumfahrer-Blick in philosophische Betrachtungen zu wechseln. Statt der technischen Notwendigkeiten seines Einsatzes kamen ihm existenzielle Fragen in den Sinn: "Warum bin ich hier? Wie bin ich hierhergekommen? Welche Verantwortung haben wir gegenüber der Erde, diesem wunderschönen Planeten?"

Dann waren die fünf Minuten Pause um, die Kamera filmte, Schweickart war wieder Astronaut im Dienst, hangelte sich weiter die Außenwand des Raumfahrzeugs entlang, testete das Material, übte das Procedere und machte Apollo 9 zu einem Meilenstein auf dem Weg zum Mond. Doch die fünf Minuten Nachdenkpause im All blieben Schweickart auch nach seiner Rückkehr präsent.

Schweickart im Jahr 1968.
© Nasa

Bei einer Jubiläumsfeier zu 50 Jahren Apollo 9 im Vorjahr betonte er die Bedeutung einer kaputten Videokamera, die ihm eine unglaubliche Perspektive geschenkt hatte. Er habe diese Situation damals und die damit einhergehenden Fragen wie ein Schwamm aufgesogen, sagt er. Die Antworten darauf wird er im Laufe seines weiteren Lebens geben.

1983 war Schweickart in vorderster Reihe, als die "Association of Space Explorers" gegründet wurde, "weil ich wusste, dass es weitaus wichtiger ist, dass wir wenigen Astronauten und Kosmonauten, die die Erde mit eigenen Augen gesehen haben, zusammenkommen und unsere Gemeinsamkeit und Liebe zum Planeten betonen, anstatt aufgeteilt nach Nationen getrennt zu bleiben".

Schweickart wurde zudem Vorsitzender des "Committee on Near Earth Objects", lobbyierte auf Ebene der internationalen Politik bezüglich der Gefahr von Asteroiden-Einschlägen und initiierte Maßnahmenbündel, um Himmelskörper abzulenken, die der Erde bedrohlich nahe kommen.

Die Zeit nach seinem Apollo-9-Flug war die wichtigere in seinem Leben, sagt Schweickart rückblickend. Obwohl er die Bedeutung von Apollo 9 nicht geringschätzt: "Die Mission damals öffnet mir bis heute Tür und Tor - in den USA und international." Doch über 50 Jahre nach seinen fünf Minuten allein mit sich und der Welt im All treibt Schweickart - vom Astronauten zum Philosophen gereift - ein anderer Gedanke um. Mit dem Erfolg der Apollo-Missionen sieht er ein weltgeschichtlich bedeutendes Tor in eine neue Zeit aufgestoßen.

Die Mondlandung lediglich als Kennedys politisch-wissenschaftlich-militärische Antwort auf die Herausforderungen durch dieSowjetunion zu sehen, greift für ihn zu kurz. Diese und andere pragmatisch-logische Gründe sind für ihn mittlerweile im Vergleich "zum evolutionären Auftrag, dass das Leben wachsen und überleben soll", verblasst.

Globale Sicht

Schweickart nennt die Mondlandung heute eine "kosmische Geburt". Zum ersten Mal sahen Menschen die Erde von außen, "das unglaublich schöne Zuhause des ganzen Lebens in unserer kleinen Ecke des Universums". Für Schweickart ist es kein Zufall, dass nach 1969 die Umweltbewegung als Antwort auf "die Sorge um Mutter Erde" entstand. "Wir erkannten unsere Verantwortung, alles zu tun, um dieses erstaunliche evolutionäre Experiment, das wir Leben nennen, zu erweitern und fortzusetzen."

Sowohl Verantwortung für den Zustand der Erde als auch die Möglichkeit, über den Planeten hinaus in den Kosmos zu greifen, gehen für den "Philonauten" Schweickart mit der kosmischen Geburt für die Menschheit einher: "Wir haben jetzt über den Geburtskanal hinaus bis zum Mond geschaut, aber wir haben nicht viel mehr Ahnung als ein Baby nach der Geburt, was das künftige Leben bringen wird. Was wir jetzt wissen, ist, dass wir unsere Mutter wirklich lieben und dass wir gerade eine erstaunliche Reise beginnen!"

Und bei der Ausformulierung dieser Vision nimmt Schweickart wieder und immer noch Kennedy beim Wort: "Meine Mitbürger in der Welt, fragt nicht, was Amerika für euch tun kann, sondern was wir gemeinsam für die Freiheit der Menschheit tun können", sagte der US-Präsident 1961. Von Schweickart ins Jahr 2020 übertragen, lautet das so: "Wir gingen als Amerikaner zum Mond, wir werden als Menschen von der Erde zum Mars und weiter gehen."

Wolfgang Machreich ist freier Autor und Journalist. Zuletzt erschienen: "360° um die Welt - Alle Länder von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang".