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Ein Vierteljahrhundert nach Inkrafttreten des Maastrichter Vertrags sind die Regeln zur Verschuldung weiter umstritten.
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Brüssel/Wien. Es gibt Orte in Europa, die zum Symbol für die Europäische Union geworden sind. In Schengen, in Luxemburg, beispielsweise wurde ein Abkommen zur Abschaffung von Passkontrollen in der Gemeinschaft unterzeichnet. Die irische Hauptstadt Dublin wiederum steht für eine Regelung zur Bearbeitung von Asylanträgen in jenem Land, wo die Menschen erstmals EU-Territorium betreten haben. Und in Maastricht, einer niederländischen Stadt mit rund 120.000 Einwohnern, wurde der Grundstein für die Errichtung der Wirtschafts- und Währungsunion gelegt. Der Vertrag trat am 1. November 1993 in Kraft.
Vollendet ist das Vorhaben auch ein Vierteljahrhundert später nicht. Und die einst getroffenen Vereinbarungen sind in dem Bündnis, das mittlerweile auf 28 Mitglieder angewachsen ist, weiterhin Gegenstand von Debatten. An Schengen wird gerüttelt, indem EU-Länder wieder Grenzkontrollen untereinander einführen. Dublin wird massiv in Frage gestellt, weil Staaten am Rand der Union nicht für alle Asylanträge zuständig sein wollen. Die Maastrichter Kriterien werden oft genug überdehnt - und nun von einem Mitglied demonstrativ missachtet.
Immer wieder haben Länder die zwei bekanntesten Vorgaben gebrochen und die Höchstwerte für das Budgetdefizit sowie die Staatsverschuldung überschritten. Die Marken liegen dabei bei drei Prozent und 60 Prozent der Wirtschaftsleistung. Bei der Staatsverschuldung kommt Griechenland aber auf das Dreifache, Italien auf das mehr als Doppelte. Trotzdem hat sich die Lage in der gesamten EU nach der Finanzkrise in den vergangenen Jahren gebessert. Die Wirtschaft kommt wieder in Schwung, die Budgetdefizite sind seit 2012 fast in jedem Land gesunken, die Schuldenberge werden langsam abgebaut. Die EU-Kommission überprüft die Haushaltsdisziplin der Mitgliedstaaten regelmäßig.
Dass sie nun erstmals schon den Budgetentwurf eines Landes zurückgewiesen hat, ist aber nicht nur wirtschaftlichen Bedenken geschuldet. Denn dass Italien im kommenden Jahr ein Defizit von 2,4 Prozent anpeilt statt 0,6 Prozent, wie von der Vorgängerregierung geplant, hat auch innen- wie EU-politische Bedeutung.
Italiens riskante Abweichung
Zum einen geht es dem Kabinett in Rom um die Erfüllung kostspieliger Wahlversprechen im sozialen Bereich. Zum anderen werden europäische Regeln offen ignoriert - und das kann sich auf die gesamte Gemeinschaft auswirken. Den jahrelangen Zwist zwischen Mitgliedern wie Deutschland, die auf Budgetdisziplin pochen und jenen Ländern, die durch höhere Ausgaben gern das Wirtschaftswachstum stimulieren würden, heizt es sowieso an. Doch birgt außerdem ein möglicher Staatsbankrott Italiens weit höhere Gefahren für die gesamte Eurozone als ein potenzieller Krach in Griechenland.
Auch beim Ringen um die Rettungsprogramme für Griechenland wurden die Maastrichter Kriterien diskutiert. In welcher Form der damit zusammenhängende Pakt für mehr Stabilität und Wachstum reformiert werden sollte, sorgt ebenfalls für Streitigkeiten. Doch sei diese Debatte "weit entfernt von der italienischen Realität", meint der Ökonom Guntram Wolff. Der Leiter der in Brüssel ansässigen Denkfabrik Bruegel weist darauf hin, dass die von Rom in Kauf genommenen Abweichungen so groß seien und der Budgetentwurf in eine derart falsche Richtung gehe, dass selbst ein reformiertes Regelwerk die italienischen Pläne nicht gutheißen könnte.
Zwar berge der Stabilitätspakt derzeit laut Wolff "eine Menge inhärenter Probleme", zu denen etwa gehört, dass ein strukturelles Defizit nur schwer zu messen sei. Allerdings sei eine gewisse Flexibilität, die vor allem von Schulden und außerordentlichen Ausgaben geplagte Länder gefordert hatten, sehr wohl durch etliche Ausnahmeregeln gegeben.
Es bedeute auch nicht, dass die Vorgaben nicht funktionieren, wenn eine Regierung sie schlicht von sich weist. "Es ist relevant, was die EU-Kommission sagt, aber die Entscheidung über den Haushalt liegt bei den Ländern", betont der Bruegel-Direktor. Doch werde die in Brüssel geäußerte Meinung nicht nur in Rom gehört, sondern auch in London oder Washington: Die Finanzmärkte üben ebenfalls Druck auf Italien aus. In welchem Ausmaß dort die populistische Regierung darauf reagiert und ob sie doch zu Änderungen im Etatentwurf bereit sein wird, ist noch offen.
Wie auch immer aber der Zwist zwischen Rom und Brüssel ausgeht - das Tauziehen ums Schuldenmachen in der EU wird damit nicht beendet sein. Die Diskussionen um Reformen in der Eurozone, um ein mögliches eigenes Budget für die Währungsgemeinschaft und die Vollendung der Bankenunion werden ihre Fortsetzung finden.
Die Überlegungen, die in Maastricht festgehalten worden waren, waren übrigens auch nicht auf ungeteilte Begeisterung gestoßen. Die Franzosen nahmen bei einem Referendum den Maastrichter Vertrag nur mit hauchdünner Mehrheit an. Die Dänen lehnten das Abkommen in einer ersten Befragung ebenso knapp ab.