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Rütteln an der Verfassung

Von Martyna Czarnowska

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Polens Regierung und Staatspräsident bringen die Justiz in die Bredouille.


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Das Tempo ist erschreckend. Zumindest für jene Polen, die um die Erhaltung ihres Rechtsstaates fürchten. Denn nach der Angelobung der neuen nationalkonservativen Regierung mit Ministerpräsidentin Beata Szydlo an der Spitze vor knapp drei Wochen ging es schnell. Sofort wurde eine Aufräumaktion an vielen Orten angekündigt. Und in Angriff genommen. Ein neuer Geheimdienstchef? Ein wegen Amtsmissbrauch in erster Instanz verurteilter Politiker wird vom Präsidenten begnadigt und bekommt den Posten. Die öffentlichen Medien? Journalisten, die PiS (Recht und Gerechtigkeit), der Partei von Jaroslaw Kaczynski, nicht genehm sind, zittern schon um ihre Jobs. Pornografie im Theater? Der neue Kulturminister wettert gegen die Inszenierung eines Stückes von Elfriede Jelinek. Das Verfassungsgericht? In einer nächtlichen Sitzung wird die letzte Richterwahl für ungültig erklärt. Neue Amtsträger werden bestimmt.

Die Opposition, nicht zuletzt die ehemalige Regierungsfraktion PO (Bürgerplattform), hielt sich mit Worten der Empörung nicht zurück. Sie schäme sich für so ein Parlament, erklärte die PO-Abgeordnete Henryka Krzywonos-Strycharska in einer Debatte in eben diesem Sejm. Sie warnte vor Angriffen auf die Verfassung, "für die wir einst unser Leben gegeben hätten". Und Kamila Gasiuk-Pihowicz fragte die Anwärter auf die Richterposten, ob sie als "die Totengräber der polnischen Demokratie" in Erinnerung bleiben wollen. Der Protest nutzte wenig: Mittwochabend waren die fünf künftigen Mitglieder des Verfassungsgerichts gewählt. Der Morgen danach war noch nicht angebrochen, als Präsident Andrzej Duda vier der Juristen vereidigt hatte.

Das Staatsoberhaupt, ebenfalls ein PiS-Politiker, wollte nicht auf das Urteil des Verfassungsgerichts warten, das für Donnerstag angesetzt war. Es ging dabei um die Rechtmäßigkeit der vorangegangenen Richterwahl. Denn schon die war umstritten. Kurz vor ihrer Abwahl hatte die damalige Regierung nämlich ebenfalls ein Votum über eine Neubesetzung veranlasst. Doch zwei der fünf Amtsträger hätten erst in der neuen, nun laufenden, Legislaturperiode bestimmt werden sollen. Ihre Nominierung erklärte das Gericht am Donnerstag für verfassungswidrig; gegen die Wahl der anderen drei erhob es keine Einwände.

Dass PiS aber dennoch alle fünf Richter ersetzen möchte, lässt Kritiker nun vor einer Verfassungskrise warnen - an der die mittlerweile oppositionelle Bürgerplattform nicht unbeteiligt wäre. Heikel sind solche Eingriffe ins Justizwesen allemal. Denn dass nach einem Regierungswechsel in den Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Personen ausgetauscht werden, kommt auch in anderen europäischen Ländern vor. Und Politiker, die sich über Theateraufführungen empören und prompt staatliche Subventionen streichen möchten, hat Österreich ebenfalls schon gesehen. Aber politischer Druck auf Gerichte wiegt schwerer. Er stellt die demokratische Gewaltentrennung in Frage.

Duda hat sich schon in einer Fernsehansprache an die Bürger gewandt. Er regte eine Änderung der Regeln zur Wahl der obersten Richter an. Darüber sollen immerhin nicht nur Parteien beraten.