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Washington - Was tun mit Saddam Hussein? Während die Invasionstruppen das Terrain für den Großangriff auf Bagdad zu bereiten suchen, zerbrechen sich Experten in den USA den Kopf darüber, wie mit dem irakischen Machthaber zu verfahren ist, falls er lebend ergriffen wird. Zweifellos hoffen viele in Washington darauf, dass ihnen dieses Szenario erspart bleibt und der Erzfeind während der Offensive ums Leben kommt. Denn ein Saddam Hussein in Haft würde den USA große juristische und politische Schwierigkeiten bereiten. Nicht zuletzt wäre zu klären, welches Gericht ihn aburteilen soll.
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Gleich zu Kriegsbeginn hatte US-Präsident George W. Bush versucht, Saddam Hussein per Raketenangriff zu töten; auch weiterhin werden die USA wohl jede Chance ergreifen, den irakischen Machthaber durch eine Attacke aus der Luft zu treffen. Washington beruft sich dabei auf das für kriegerische Konflikte geltende internationale Recht; danach ist es erlaubt, die Kommandanten der gegnerischen Truppen anzugreifen.
Legitimes Ziel?
Als Oberbefehlshaber sei Saddam Hussein somit ein legitimes Ziel. Diese Ansicht wird jedoch von manchen Experten in Zweifel gezogen. Der Völkerrechtler John Quigley von der Ohio State University betont, Praxis vergangener Kriege sei es gewesen, den Staatschef als Angriffsziel auszunehmen. Unstrittig dagegen ist, dass die Invasionstruppen Saddam Hussein als Akt der Selbstverteidigung im direkten Gefecht töten dürften. Ebenso unstrittig ist aber auch, dass der Todesschuss strikt verboten ist, sollte der irakische Machthaber mit erhobenen Händen aus seinem Bunker kommen. Gerät Saddam Hussein also in Gefangenschaft, müssten Anklagepunkte für einen Prozess formuliert werden.
Umfassende Anklage
Die US-Regierung visiert eine umfassende Anklage an, die die Ermordung von Oppositionellen, den Giftgasangriff auf die Kurdenstadt Halabja 1988 und Verbrechen während des ersten Kriegs gegen die USA 1991 einbezieht. Möglicherweise kämen noch Verbrechen aus dem aktuellen Konflikt dazu.
Mehr Kopfzerbrechen als die Anklage bereitet der US-Regierung die Frage, welches Gericht Saddam Hussein aburteilen soll. Ein US-Militärtribunal wäre nicht nur völkerrechtlich fragwürdig. Auch politisch wäre es ein riskantes Unterfangen - "solche Siegerjustiz könnte einen Feuersturm auf der arabischen Straße entfachen", warnt David Scheffer, der unter Ex-Präsident Bill Clinton für die Ahndung von Kriegsverbrechen zuständig war. Eine zweite Möglichkeit wäre ein von den USA zusammen mit ihren Kriegsverbündeten gegründetes Tribunal nach dem Vorbild der Nürnberger Prozesse - auch damit wäre allerdings der Vorwurf der "Siegerjustiz" nicht vom Tisch.
Neue Irak-Gerichtsbarkeit?
Viele Experten sehen zwei legitimere Lösungen: Saddam Hussein kommt wie der frühere jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic vor ein Gericht der UNO, oder er wird von einer neu zu organisierenden irakischen Gerichtsbarkeit abgeurteilt. Mit der Übergabe des gestürzten Herrschers an neue irakische Behörden könnten die USA ihre Ankündigung umsetzen, einen selbstbestimmten Irak zu schaffen. Jedoch könne es lange dauern, bis eine neue irakische Behörde "nicht als bloßes Instrument der Besatzungsmächte" wahrgenommen würde, gibt der Völkerrechtler Anthony Arend von der Georgetown University in Washington zu bedenken.
IStGH von USA abgelehnt
Für ein Verfahren gegen Saddam Hussein stünde auch der kürzlich gegründete Internationale Strafgerichtshof (IStGH) zur Verfügung, der für die Verfolgung von Kriegsverbrechen zuständig ist. Da die USA dieses Haager Tribunal aber ablehnen und bisher alles darauf anlegen, seine Kompetenzen zu beschneiden, ist nicht zu erwarten, dass sie ausgerechnet ihren Erzfeind dorthin ausliefern. Außerdem dürfte Saddam Hussein vor dem IStGH nur für Verbrechen ab dem 1. Juli 2002 angeklagt werden. Denkbar ist aber auch, dass die USA bei der UNO die Gründung eines eigenen Tribunals für Irak beantragen, nach dem Modell der Strafgerichte für Jugoslawien und Ruanda.
Mit dieser Lösung könnte Washington auch versuchen, die beschädigten Beziehungen zum UNO-Sicherheitsrat zu reparieren. Ob das Gremium einem Sondertribunal für Saddam Hussein zustimmen würde, steht allerdings in den Sternen - die Vetomächte Frankreich und Russland könnten darin eine nachträgliche "Legitimierung des Krieges" sehen, sagt Quigley.