So wie bei Millionen anderer Iraker prägten Aufstieg und Fall des Diktators auch das Leben des Künstlers Saad Abid Zaid.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 1 Jahr in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Saad Abid Zaid war 33 Jahre alt, als der damalige US-Präsident George W. Bush vor die TV-Kameras trat und sein Ultimatum stellte: Saddam Hussein hätte den Irak binnen 48 Stunden zu verlassen, oder es werde Krieg geben. Saddam blieb.
Zaid arbeitete damals für eine Baufirma in Bagdad und entwarf Wandbilder aus Mosaiksteinen. "Wir alle träumten davon, Saddam und seine Baath-Partei loszuwerden", sagt er. Aber jedem sei klar gewesen, dass dieser Umsturz von außen erfolgen müsse.
Am 17. März vor zwanzig Jahren fielen die ersten Bomben auf Bagdad. Der Umsturz hatte begonnen. Koalitionstruppen stießen von Norden, Süden und Westen Richtung Bagdad vor. Anfang April erreichten die ersten US-Soldaten die Hauptstadt am Tigris.
Krieg und Kunst
Als Zaid 1970 geboren wurde, hatte sich die Baath-Partei gerade zum zweiten Mal an die Macht geputscht. Noch war Ahmad Hasan al-Bakr Präsident des Irak, Saddams Aufstieg hatte eben erst begonnen. In den 70ern galt Bagdad als eine der kulturellen Hauptstädte der arabischen Welt. "Es gab eine vielfältige und vitale Kunstszene mit zahlreichen internationalen Ausstellungen", sagt Zaid, der bereits als Teenager Filmstars aus dem Staatsfernsehen porträtierte.
1979 kam Saddam an die Macht, wenige Monate später griff er den Iran an. Der Westen nahm es hin, zumal er Saddams säkulare Regierung als Bollwerk gegen die Islamische Revolution in Teheran sah. "Mit dem Krieg gegen den Iran begann eine Zeit voll Schmerz und Qualen", sagt Zaid. Als der Konflikt nach acht Jahren endete, war die Wirtschaft ruiniert und der Irak mit 40 Milliarden US-Dollar verschuldet.
Im Jahr 1989 schrieb Zaid sich an der Hochschule für bildende Künste ein. Bagdad war nach wie vor ein Mekka der arabischen Kreativen. Das Kunststudium war kostenlos, wer Talent hatte, wurde gefördert. "Jene Künstler, die sich in den Dienst der Propaganda stellten und Gemälde und Plastiken zu Ehren Saddams und der irakischen Nation produzierten, konnten gut verdienen", so Zaid. Saddam ließ zahlreiche Monumente errichten, die bis heute das Stadtbild Bagdads prägen. Eines der bekanntesten zeigt zwei, sich überkreuzende Schwerter, die von gigantischen Händen umfasst werden - vergrößerte Gipsabdrücke von Saddams Händen. Der Diktator taufte es "Sieges-Monument" - in Stahl gegossener Zynismus angesichts der halben Million Iraker, die im Ersten Golfkrieg gefallen waren.
Jahre des Chaos
Im Sommer 1990 begann der hochverschuldete Irak einen weiteren Krieg und besetzte das reiche Kuwait. Saddam hoffte, dass die westliche Welt den Angriff auch diesmal billigen werde. Doch er täuschte sich. Eine US-geführte Koalition bombte die irakischen Truppen in eine verheerende Niederlage. Es folgte ein Jahrzehnt schwerer UN-Sanktionen, die den Irak zwar wirtschaftlich ausbluteten, Saddam aber nicht zu Fall brachten.
Mit dem Handelsembargo brach die Kunstszene am Tigris zusammen. Gute Farben und Pinsel waren kaum noch zu bekommen, Sammler flohen ins Ausland. "Bis Anfang der 90er existierten dutzende Galerien in Bagdad", sagt Zaid. Doch diese wurden von Jahr zu Jahr weniger. "Die Galeristen wanderten ins benachbarte Jordanien ab, wo sich eine irakische Exil-Kunstszene entwickelte", so Zaid.
Und dann kam die US-Invasion. Keine sechs Wochen nach dem Start der Offensive erklärte Präsident Bush den Krieg für beendet. "Plötzlich war das Regime verschwunden", sagt Zaid. "Es sah aus, als hätte es immer nur in unseren Albträumen existiert."
Die Zeit danach war bitter. "Strom und Wasser gab es nur für wenige Stunden am Tag, statt dessen wuchs die Angst", erinnert sich Zaid. In den Straßen herrschte Chaos. Plünderer machten sich wie Hyänen über den Kadaver des gefallenen Regimes her. Verwaltungsgebäude, Krankenhäuser und Museen wurden tagelang leergeräumt. Als es nichts mehr zu plündern gab, begannen die Raubmorde und Entführungen.
Dennoch wollte Zaid an den neuen Irak glauben. Er engagierte sich in Medienkampagnen, die Leute über den Ablauf demokratischer Wahlen informierten. Es sei wunderbar gewesen, sich nach Jahrzehnten der Diktatur frei äußern und zivilgesellschaftlich aktiv sein zu können, so Zaid.
Am 9. April stürzten US-Soldaten unter Jubelrufen der Iraker die Saddam-Statue am Fardous Platz. CNN übertrug die Szene in die Welt, die rasch zum Symbol für den Sieg der US-Armee über den Diktator wurde. Zuhause in den USA feierte die Regierung Bush den Sieg. All jene Politiker, Analysten und Journalisten, die die Irakoffensive als Sonntagsspaziergang vorhergesagt hatten, sahen sich bestätigt. Doch bald schon drehte sich die Stimmung im Irak. So viele den Sturz Saddams begrüßten, so wenige wollten eine anhaltende US-Besatzung hinnehmen. Am selben Platz, wo Wochen zuvor die Saddam-Statue gestürzt wurde, riefen Demonstranten jetzt: "Kein Amerika! Kein Saddam! Islam! Islam!" Eine düstere Vorahnung auf das, was kommen würde.
In den folgenden Monaten gewannen religiösen Hardliner die Oberhand. "All unsere Bemühungen und Träume von einer freien Gesellschaft wurden zerstört", sagt Zaid. Als Washington aus seinem Siegestaumel erwachte, steckte die US-Armee bereits bis zum Hals im irakischen Nachkriegssumpf. Zwischen sunnitischen und schiitischen Milizen tobte ein Bürgerkrieg um die Macht im Staat. Gleichzeitig wuchs der Widerstand gegen die Besatzer. Die Zahl der toten US-Soldaten schnellte in die Höhe. Die von Washington als billiger Blitzkrieg verkaufte Invasion wurde nach Vietnam zum zweitlängsten Krieg der US-Geschichte. Bis zum offiziellen Ende der Besatzung 2011 sollte sie laut Schätzungen des US-Ökonomen Joseph Stiglitz den amerikanischen Steuerzahlern drei Billiarden US-Dollar kosten. Massenvernichtungswaffen - der offizielle Grund für den Einmarsch - wurden keine gefunden. Der Terrorismus, den die USA durch den Sturz Saddams bekämpfen wollten, konnte eben dadurch erst Fuß fassen. Aus Al-Qaida ging der sogenannte Islamische Staat hervor, der 2014 weite Teile Iraks unter seine Kontrolle brachte. Es dauerte drei Jahre und brauchte eine weitere US-geführte Koalition, um das Kalifat im Irak zu zerschlagen.
Teure Autos statt Kultur
Zaid ist heute in der irakischen Kunstszene etabliert, seine neoexpressionistischen Bilder werden in den neuen Galerien Bagdads ausgestellt. Die Kunstszene blüht langsam wieder auf. An den Kunsthochschulen studiert eine junge Generation - die erste seit Jahrzehnten, die sich traut, soziale und politische Missstände durch ihre Kunstwerke anzuprangern. Von staatlicher Seite gebe es für Kunst freilich wenig Geld, so Zaid. International sei die irakische Szene isoliert und auch potenzielle Sammler sind weiterhin zurückhaltend: "Wer im Irak Geld hat, kauft sich lieber teure Autos, statt Kunst."
Auch zwanzig Jahre nach der US-Invasion ist die Demokratie im Irak ein zartes Pflänzchen. Sie wird überschattet von einem tief verwurzelten Klientelismus, bei dem sich politische Parteien, konfessionelle und ethnische Gruppen die Ressourcen des Staates untereinander aufteilen. Korruption und Misswirtschaft fressen den Reichtum des Öllandes, während Millionen Menschen um ihr tägliches Überleben kämpfen. Schätzungen der Weltbank zufolge leben 22 Prozent der Iraker in Armut, ein Drittel der Jugendlichen hat keine Arbeit.
Jedes Jahr am 9. April begeht der Irak den Tag der amerikanischen Eroberung Bagdads. Doch zum Jubeln ist den Wenigsten zumute. "Für uns ist das kein Freudentag, sondern ein Tag der Niederlage und Schande", sagt Zaid. Die Wunden, die Invasion, Bürgerkrieg und Terrorismus gerissen haben, seien noch lange nicht verheilt. "Wir träumen von einem zivilen Staat, aber nach wie vor prägen Panzer und Soldaten das Straßenbild." Dennoch, ist Zaid überzeugt, würde es um das Land deutlich schlimmer stehen, wäre Saddam noch an der Macht: "Er war ein Hasardeur, kein politischer Führer."
Mit dem Angriff der USA auf den Irak vor 20 Jahren endete die Herrschaft Saddam Husseins. So wie bei Millionen anderer Iraker prägten Aufstieg und Fall des Diktators auch das Leben des Künstlers Saad Abid Zaid.