Zum Hauptinhalt springen

"Sag noch einmal Tschusch!"

Von Ljubisa Buzic

Politik

7500 Plakate ließ Patricio Handl in diesem Jahr kleben.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. "Ach Wien, ohne uns Fremde, Migranten, Zugewanderte hättest du weder Vergangenheit noch Zukunft." So wird die österreichische Mehrheitsgesellschaft selten angesprochen. "Du armes Wien", scheint es fast zu sagen. Das ist eines der Plakate, mit denen Patricio Handl seit Jahren einen aktiven Beitrag zur Integrationsdebatte leistet. Der 62-jährige Argentinier lebt schon seit den frühen 80ern in Wien und macht auch fast schon so lange Plakate, genannt "Patografien". Der Name ist eine ironische Verwendung seines Spitznamens Pato. Hier in seinem Büro, einem Gassenlokal in der Zentagasse im 5. Bezirk, arbeitet Pato. Aber der Raum mit der kleinen Küche ist kein Künstleratelier, sondern eher ein Büro. Neben einem großen Eckschreibtisch mit drei riesigen Bildschirmen befinden sich hier eine gemütliche rote Couch und ein gläserner Couchtisch. Die meisten Flächen sind mit Magazinen, Flyern oder anderen Druckwerken bedeckt.

"Eigentlich bin ich ein ganz normaler Grafiker", erzählt Handl. Sein Geld verdient er mit denselben Jobs wie andere Kollegen in der Branche. Er zeigt mir ein großformatiges Hochglanzmagazin, auf dem "Tirol Exclusive" steht. Auf dem Cover ist eine Weitwinkelaufnahme von Alpengletschern vor strahlend blauem Himmel zu sehen. Viele seiner Jobs kommen aus dem Tourismusbereich, von Hotels oder Erholungsressorts. Eigene Hochglanz-Magazine herstellen zu lassen, ist in der Hotelbranche gerade sehr modern. Andere Arbeiten macht er für NGOs wie Amnesty International oder Einrichtungen wie die MA 11. Und wenn er es sich leisten kann, dann lässt er seine eigenen Plakate drucken.

Politisch Kommunizieren

Heuer war es wieder einmal so weit. Auf Wiens Straßen tauchten diesen Sommer Plakate mit Aufschriften wie "Migrantig" (mit einer entsprechend grantig dreinschauenden Frau) und "Migrantisch" (mit dem Bild eines Tisches) auf. Absender und Zweck sind auf den ersten Blick unklar. Der Gegensatz zwischen der verspielten Gestaltung und der fordernden Aussage ist sein Markenzeichen. Das Plakat ist für Handl politische Kommunikation und Kunstform in einem, sein Ausstellungsraum ist die Straße.

Insgesamt 7500 Plakate ließ Handl dieses Jahr kleben. Das dritte Sujet für heuer wird gerade geklebt: "Neo-Österreicher dürfen mitspielen, sind aber meistens im Abseits. Außer beim Fußball." Subventionen hat er dafür nie bekommen. Für jedes angebrachte Plakat muss er selbst bezahlen, wobei nicht das Drucken so viel kostet, sondern das Anmieten der Werbefläche. Wegen der hohen Kosten hatte er auch vor über zehn Jahre mit den Plakaten aufgehört. Damals konnte er sich das einfach nicht mehr leisten. Da das Plakat seine Ausdrucksform ist, musste er jahrelang schweigen.

"Aber irgendwann hatte ich es satt", meint Handl. Das war vor drei Jahren. Die Zustände waren für ihn wieder einmal untragbar geworden. "Alles, was die FPÖ vor zehn Jahren gefordert hat, ist heute verwirklicht", Wut und Enttäuschung schwingen in der Stimme des Mannes mit.

Selbstbewusstsein & Würde

Als er in den 80ern, in der Waldheim-Zeit, mit den Plakaten angefangen hat, haben sich die Migranten wirklich gefreut, erzählt Handl. "Sag noch einmal Tschusch" oder "Wir Wiener" hat Migranten mit einer bis dahin nie dagewesenen Würde und einem Selbstbewusstsein abgebildet.

Dass die Migration für ihn ein Lebensthema ist, wird einem erst bei einem genaueren Blick auf seine komplizierte Familiengeschichte klar: Die Mutter ist in ihrer Jugend aus Uruguay nach Argentinien gekommen, die Stiefmutter ist deutsche Jüdin aus Dresden. Handl verließ mit 19 Jahren die Heimat und lebte zunächst in Hamburg. Seine Schwester emigrierte aus Argentinien nach Wien. Deren Sohn führt nun in der IT-Branche ein Leben zwischen Buenos Aires und San Francisco.

Doch der eigentlich Knackpunkt in der Familiengeschichte ist wohl die Flucht des Vaters aus Österreich. 1938, mit 18 Jahren, hatte der Vater, wegen seiner jüdischen Wurzeln alles in Österreich zurückgelassen. Das Erlebnis war traumatisch. Alles, was mit Österreich zu tun hatte, hat er danach verdrängt, auch die deutsche Sprache.

Begriffe wie Inländer und Ausländer werden auf seinen Plakaten verdreht, gebrochen und neu zusammengeklebt, radikal hinterfragt. Plakate wie "Rausländer sind Armländer" oder "Vorsicht Inländer" lassen einen über die Sprache nachdenken. Dass ausgerechnet die Sprache, die der Vater jahrzehntelang nicht benutzen wollte, zum Ausdrucksmittel des Sohnes wurde, ist wohl eine Ironie des Schicksals.