Symposion des Renner-Instituts bringt überraschende Erkenntnisse.
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Wien. Wohin geht die arabische Welt? Diese Frage stellten sich internationale Experten bei einer vom Renner-Institut organisierten Diskussionsveranstaltung in Wien. Die in Deutschland tätige ägyptische Politik-Beraterin Hoda Salah etwa wollte von einem politischen Stillstand in ihrer Heimat nicht reden. Auf Regierungsebene tue sich zwar wenig, die Jugend aber sei aktiver denn je. Junge Frauen würden Benachteiligungen und sexuelle Übergriffe offensiver als früher thematisieren.
Die Träger der Revolution vor mehr als zwei Jahren hätten sich bis jetzt bewusst aus dem formal-politischen Prozess herausgehalten. Nun sei man dabei, Organisationen zu gründen, um der "Politik von unten" eine institutionelle Basis zu geben.
Der Tunesier Chaled Chaabane von der Monouba-Universität beobachtet unterdessen mit Sorge, wie die 15- bis 35-Jährigen seines Landes in Scharen zu den Salafisten überlaufen. Der Grund: Die neuen Machthaber in Tunis - moderate Islamisten der Ennahda-Partei - hätten keine Perspektiven geboten, die Arbeitslosigkeit sei so hoch wie eh und je. Die Fundamentalisten hingegen wären, großzügig von Saudi-Arabien finanziert, gut bei Kasse und in der Lage, Mittel zu verteilen.
Salah und der Wiener Politologe Cengiz Günay wiesen auf ein Phänomen hin, das in Europa kaum bekannt ist: Die Salafisten sind in ihren gesellschaftspolitischen Vorstellungen zwar islamistisch-anti-westlich - doch das wirtschaftspolitische Gedankengut gehorcht überraschend pragmatischen Grundsätzen.
Die Salafisten akzeptierten den Kapitalismus und das internationale Wirtschafts- und Finanzsystem, so Günay, in vielen Bereichen argumentierten sie sogar ähnlich neoliberal wie die US-Tea-Party: Steuern sollen demnach völlig abgeschafft und durch freiwillige Almosen ersetzt werden. Die säkularen politischen Kräfte in Ägypten und Tunesien sähen sich dagegen oftmals im Widerspruch zu den internationalen Finanzinstitutionen, propagierten den marxistischen Weg der Zwangsverstaatlichung - und wären in diesem Punkt komplizierte Kooperationspartner, so Salah.