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Die allgemeine Empörung über verschwundene Steuermillionen kostet "die Politik" mehr als Millionen - nämlich Vertrauen.
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Die Reaktion auf das Verschwinden von 340 Steuermillionen in Salzburg verläuft wie der konditionierte Reflex des Pawlowschen Hundes: Wut, Schuldzuweisungen, Verantwortung nach Art der drei Affen (nichts sehen, hören, sagen), Kontrolleure zum Augenarzt, Verbot jeder Spekulation, Finanzpolitik im Trockenaquarium und Tränen über den Vertrauensverlust. Quintessenz: Garantieren Kontrollen Vertrauen?
"Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser", sagte angeblich Mao Zedong als Erster. Dem hält ein indonesisches Sprichwort entgegen: "Vertrauen ist das Meisterstück der Kontrolle." In jedem Fall ist Vertrauen der Kitt der Gesellschaft.
Kontrolle! Das wirkt auf den ersten Blick verführerisch. Der zweite Blick erkennt allerdings die totalitäre Versuchung: Wie viel Kontrolle setzt man bis zu welcher Grenze durch? Wer kontrolliert die Kontrolleure?
Der Spruch "trau - schau wem" durchsetzt Vertrauen mit Skepsis. Der Politik fordert das den glaubwürdigen Nachweis von Ehrlichkeit, Sauberkeit, Sachkompetenz und Intelligenz ab. "Würden Sie diesem Gentleman einen Gebrauchtwagen abkaufen?", fragte John F. Kennedy 1960 in einer TV-Debatte mit Richard Nixon und zeigte auf diesen längst als "tricky Dick" Verrufenen. Kennedy gewann das Vertrauen und damit die Wahlen.
Natürlich ist Politik kein Handel mit Gebrauchtwagen, lebt aber von der Rendite aus Vertrauenswürdigkeit. Diese entsteht weder über Nacht in Wahlkämpfen noch über die Reihung auf Wahllisten, sondern durch das Alltagsverhalten eines Bewerbers. Daher die nachdrückliche Forderung nach Personen- statt Listenwahlrecht. Wer kennt seinen Abgeordneten zum Landtag oder Nationalrat nicht nur lächelnd von der Plakatwand? Sonntagsrhetorisch sind Politiker allein ihrem Gewissen verantwortlich, realpolitisch aber ihrer Partei, wenn sie auf der Wahlliste bleiben wollen.
Ein Philosoph schlug als Ausweg aus dem Salzburger Fiasko vor, Politiker für ihre Entscheidungen in Finanzfragen persönlich haftbar zu machen. Damit leistete er der Ansicht Vorschub, dass Philosophie eine "spekulative Wissenschaft" sei. Diese Idee setzt nämlich voraus, dass "die Politik" ein entsprechendes Gesetz beschließt. Das ist vorderhand so unwahrscheinlich wie die Bestellung eines Hundes zum Wächter eines Wurstkranzes. Kann Politik überhaupt risikofrei sein, muss sie das Hellsehen beherrschen, damit sie etwas zu entscheiden wagt? Wer sah 2008 den Zusammenbruch der eben erst mit Triple-A bewerteten Lehman Brothers voraus und wer ahnte die verheerenden Folgen?
In Salzburg kommt es jetzt zu vorgezogenen Landtagswahlen. Gabi Burgstaller erntete 2004 für die SPÖ einen Erdrutschsieg mit der Parole "Salzburg blüht auf". Jetzt hängt man ihr "Salzburg brennt ab" an, also tritt ihr Finanzreferent David Brenner zurück. Das Land steht also vor einer "Denkzettelwahl". Das mag die Führung des Landes ändern, wird aber weder den materiellen und moralischen Schaden beheben, noch gar über Nacht das Vertrauen in "die Politik" bessern. Brandwunden vernarben eben langsam und hinterlassen Phantomschmerzen.