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Präsidentenkür: Griechischer Premier setzt als Antwort auf den EU-Spardruck auf innenpolitische Abschreckung.
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Athen. Das Gesicht des ansonsten freundlichen Ladenbesitzers im nördlichen Athener Vorort Vrilissia spricht Bände. "Ich weiß nur eines: Die Leute haben die Lust auf den Kauf von Weihnachtsgeschenken verloren - auch die, die noch Geld dafür haben", antwortet er auf die Frage, was er von der Präsidentenwahl hält.
Alles nur Schwarzmalerei eines latenten Berufspessimisten? Ob der abrupte Konsumeinbruch, der jüngste Kurssturz an der Athener Börse oder der Anstieg der Renditen für griechische Staatsanleihen auf ruinöse 9 Prozent: Die Anfang voriger Woche unerwartet getroffene Entscheidung von Athens konservativem Premier Antonis Samaras, die turnusgemäß erst im Februar anstehenden Präsidentenwahlen um rund zwei Monate auf heute vorzuziehen, trifft die krisengeplagte griechische Wirtschaft schwer - ausgerechnet vor den Festtagen.
Samaras begründete seinen Schritt mit Blick auf die Präsidentenwahldamit, dass in Griechenland seit geraumer Zeit "politische Unsicherheit" herrsche. Sollte die Wahl scheitern, werde alles nur noch viel schlimmer. Seine Devise: "Hellas braucht Klarheit - sofort."
Hazardspiel
Nur: Samaras Schuss könnte nach hinten losgehen. Dass der von ihm vorgeschlagene Kandidat, sein eher farbloser Parteifreund Stavros Dimas, in den ersten beiden Wahlgängen heute und am nächsten Dienstag mindestens 200 oder im dann obligatorisch erforderlichen dritten Wahlgang am 29. Dezember 180 Stimmen im 300 Abgeordnete zählenden Athener Parlament auf sich vereint, ist allen verfügbaren Informationen zufolge mehr als fraglich.
Heute, im ersten Wahlgang, dürfte Dimas höchstens 165 Stimmen erhalten: Neben den 155 Regierungsabgeordneten kann er mit höchstens zehn Stimmen von unabhängigen Volksvertretern rechnen. Scheitert die Präsidentenwahl, muss das Parlament umgehend aufgelöst werden. Frühester Wahltermin für die dann fälligen Neuwahlen wäre der 25. Jänner, spätester Wahltermin der 8. Februar 2015.
Samaras Hoffnung: Einer Umfrage des renommierten Meinungsforschungsinstituts GPO zufolge teilen 61,2 Prozent der Befragten die Ansicht, dass mögliche Neuwahlen "Gefahren für die Wirtschaft des Landes bergen". 37,6 Prozent sehen darin hingegen "kein Problem".
Das Problem für Samaras ist aber: Lediglich 37,6 Prozent der Griechen wollen, dass die seit Ende Juni 2012 amtierende Regierung aus konservativer Nea Dimokratia und den Pasok-Sozialisten die mittlerweile auf Eis gelegten Verhandlungen mit Griechenlands öffentlicher Gläubiger-Troika aus EU, EZB und IWF über weitere Sparmaßnahmen samt Steuererhöhungen sowie weiterer Reformen im ewigen Euro-Sorgenland auch fortsetzt. Eine entscheidende Anzahl von Regierungsabgeordneten bringt ferner unverblümt zum Ausdruck: "Wir werden ein neuerliches Sparpaket niederstimmen."
Bittere EU-Pillen
Konkret anvisiert sind eine Aushöhlung des Streikrechts der Arbeitnehmer, die Abschaffung der Obergrenze bei Entlassungen im Privatsektor, die partielle Erhöhung des Renteneintrittsalters, weitere massive Renten- und Pensionskürzungen sowie zusätzliche drastische Steuererhöhungen - insbesondere in der hierzulande boomenden Tourismusbranche. Der bisher gültige Mehrwertsteuersatz für die Branche von 6,5 soll schlagartig auf künftig 13 Prozent verdoppelt werden. Trotz anderslautender Rhetorik: In weiten Teilen hat sich Athen mit der Troika aber schon auf das neue Sparpaket geeinigt. Ein Athener Medien zugespielter E-Mail-Verkehr zwischen Finanzminister Gikas Chardouvelis und der Troika belegt dies unstrittig.
Samaras hat keine andere Wahl. Trägt die Prüfung der Troika-Kontrolleure, die nunmehr spätestens Ende Februar abgeschlossen sein soll, keine Früchte, hängt Griechenland buchstäblich in der Luft. Denn ohne die Erfüllung der Auflagen fließen überfällige Troika-Gelder in Höhe von kumuliert 10,6 Milliarden Euro nicht nach Athen. Aber: Athen hat im Jahr 2015 IWF-Kredite zu tilgen und fällige Staatsanleihen zu bezahlen. Der Geldbedarf: mehr als 16 Milliarden Euro. Die ersten größeren Zahlungen sind im März fällig. Ohne die Troika-Gelder droht Griechenland der Staatsbankrott. Käme es zu Neuwahlen, hieße der Favorit: Bündnis der radikalen Linken ("Syriza") unter Europas "Schreckgespenst" Alexis Tsipras, ein erklärter Spar- und Privatisierungsgegner.
Bliebe die Frage, was Samaras mit der Vorverlegung der Präsidentenwahl bezwecken will. Sein politisches Kalkül: Geht seine Rechnung doch auf, indem in diesen Tagen ein neuer Staatspräsident in Griechenland gewählt wird, hat seine Regierung in Athen wohl bis Juni 2016 freie Bahn - neue Sparpakete und die Fortsetzung der Privatisierungen und Reformen inbegriffen.
Falls nicht, spekulieren Samaras und Co. auf das Szenario "linke Klammer auf, linke Klammer zu". Will heißen: Das Linksbündnis Syriza kommt zwar Mitte Februar erwartungsgemäß an die Macht, entweder alleine oder mit einem Koalitionär aus der bisherigen Opposition der Spargegner.
Mit seiner Verweigerungstaktik gegenüber der ungeliebten Troika werde die neue Syriza-Regierung aber im Rekordtempo fallen - oder sich alternativ den Sparbefürwortern im In- und Ausland beugen, nicht zuletzt wegen dem nun bereits wieder aufflammenden Schreckensszenario eines "Grexits", eines Ausstiegs Griechenlands aus dem Euro. Kritiker monieren: Samaras pokert hoch.
In puncto Euro sind sich die Griechen jedenfalls in weiten Teilen einig. Laut jüngster GPO-Umfrage plädieren 72,4 Prozent der Hellenen für einen Verbleib in Euroland, nur 26 Prozent sind dagegen. Auch Syriza-Chef Alexis Tsipras, von seinen Gegnern gerne abschätzig der "Hugo Chavez des Balkans" genannt, ist mittlerweile eindeutig für Hellas’ Verbleib im Euro. Was ihn aber nicht davon abhielt, neulich auf der Insel Kreta zu poltern: "Wir werden die Musik spielen und die Märkte werden dann nach unserem Tempo tanzen". Seine Anhänger jubelten.