)
Biologen wollen die "Todeszone" in Tschernobyl neu bepflanzen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Bratislava. Vor rund 2000 Jahren fuhren einer chinesischen Legende zufolge Landsucher auf einem Floß den Jangtsekiang hinauf, um Siedlungsgebiete auszukundschaften. Bald wurde der Proviant knapp, schließlich blieben nur einige Säckchen trockener Bohnen übrig. Als man sie öffnete, waren die Bohnen aber nicht etwa unter dem Einfluss der Feuchtigkeit verdorben, sondern hatten wohlschmeckende Sprossen hervorgebracht. Die Menschheit war um eine Erkenntnis klüger: Solange ein Samen unbeschädigt ist, lässt er sich auch unter vermeintlich unwirtlichen Bedingungen kultivieren.

Die Arbeit von Martin Hajduch vom Institut für Genetik und pflanzliche Biotechnologien der Slowakischen Akademie der Wissenschaften in Nitra fußt auf diesem Prinzip. Seit 2007 untersucht der Biologe, inwieweit sich der Boden nahe dem 1986 havarierten und vor zwölf Jahren stillgelegten ukrainischen Kernkraftwerk Tschernobyl rekultivieren lässt. Er hat nachgewiesen, dass selbst hohe Strahlenbelastungen Samen nichts anhaben können.
Verwendung für Biosprit
Zwei Felder haben Hajduch und sein Team in Tschernobyl angelegt. Eines liegt fünf Kilometer vom havarierten Reaktor entfernt und damit in der "Todeszone". Das andere befindet sich auf Gebiet, wo die Strahlenbelastung 20 Mal niedriger ist. Die Forscher kultivieren Leinsamen und Soja, beide Sorten schlugen nach der Reaktorkatastrophe von selbst wieder aus. Auf der ersten Anbaufläche interessieren sie sich dafür, wie die Pflanzen in der "Todeszone" gedeihen. Auf dem zweiten, weiter entfernten Feld ermitteln sie mögliche Wachstumsunterschiede. Derzeit sind sie in der sechsten Anbaugeneration.
Auf den ersten Blick entsprechen die Ergebnisse den Erwartungen: Die Pflanzen in der "Todeszone" sind durch die Strahlenbelastung vergleichsweise klein. Allerdings passen sie sich immer besser den Gegebenheiten an. Die Verstrahlung nimmt bei ihnen schneller ab als in ihrer Umgebung, auch entseucht sich der bepflanzte Boden schneller als der unbepflanzte.
Außerdem, und das ist die bisher wichtigste Erkenntnis, sind Pflanzensamen offenbar unempfindlich gegenüber radioaktiver Verstrahlung. Das bedeutet, dass sich auch extrem kontaminierte Flächen kultivieren lassen. Allerdings hat die Sache einen Haken: Selbst wenn ein Samen nicht verstrahlt ist, sind die Pflanzen, die er hervorbringt, es sehr wohl. "Den pflanzlichen Teil unseres Soja oder Leinsamen kann man nicht zur Herstellung von Lebensmitteln verwenden, die Strahlenbelastung ist zu hoch", so Hajduch. Es lohne sich jedoch auszuloten, inwieweit die Pflanzen für "technische Produkte" taugen. Hajduch denkt an die Erzeugung von Biosprit als wirtschaftlichste Verwendungsform.