Zum Hauptinhalt springen

Sammelklagen vor US-Gerichten

Von Margareth Prisching

Wirtschaft

Ein US-Gericht hat soeben entschieden, dass in der Causa Kaprun eine "class action" zulässig ist. Österreicher dürfen sich der Klage in New York anschließen. Wird der Kaprun-Prozess jetzt in New York entschieden?


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 21 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die US-amerikanische "class action" ist uns auf Grund von Hollywoodverfilmungen ein Begriff. In "Erin Brockovich" (2000) benutzt Julia Roberts ihren Verstand und Charme und gewinnt einen "class action"-Prozess für gesundheitlich schwer geschädigte Opferfamilien gegen einen skrupellosen Konzern.

In den USA sind solch spektakuläre Prozesse längst Realität. In den letzten Jahrzehnten hat die "class action" auch durch die Verlagerung des Anwendungsbereichs auf so genannte "mass torts"-Fälle das öffentliche Interesse geweckt. Zu diesen Massendelikten zählen etwa Flugzeugabstürze oder toxische Massenschäden, ebenso Fälle, in denen die Opfer über einen längeren Zeitraum schädlichen Substanzen (z.B. Asbest oder Agent Orange) ausgesetzt waren. Auch Zigarettenhersteller oder Pharmaunternehmen haben mit Schadenersatzklagen in Milliardenhöhe zu kämpfen.

Kaprun: Sammelklage prinzipiell zulässig

Gemein ist allen diesen Fällen, dass eine große Anzahl von Geschädigten durch gleichartige Ansprüche verbunden ist und in dem "class action"-Verfahren für alle Beteiligten verbindlich über mögliche Ansprüche entschieden wird.

Nachdem nun am 8. Oktober 2003 Richterin Scheindlin am US-Bundesgericht des Süddistrikts von Manhattan in der Causa Kaprun eine Sammelklage nach amerikanischem Recht prinzipiell für zulässig erklärt hat, scheint es angebracht, die wichtigsten Aspekte dieses umstrittenen Rechtsinstituts darzulegen.

Die "class action" ist in Rule 23 der Federal Rules of Civil Procedure verankert. Eine solche Sammelklage kann durchgeführt werden, wenn vier Voraussetzungen erfüllt werden. Erstens muss es eine bestimmbare Gruppe von Betroffenen geben, die so groß ("numerous") ist, dass eine Streitgenossenschaft nicht mehr in Frage kommt. Zweitens müssen Rechts- oder Tatfragen zu beantworten sein, die alle "class members" betreffen ("questions of law or fact common to the class"). Das bedeutet, dass die Gruppenmitglieder gemeinsame Interessen verbinden. Drittens müssen die Klagen der Repräsentanten - jene Personen, die die Gruppe repräsentieren - typisch für die Ansprüche der gesamten "class" sein, und viertens müssen die Repräsentanten die Interessen der "class members" fair und angemessen vertreten.

Während in der Entscheidung vom 8.10.2003 festgestellt wurde, dass die ersten drei Voraussetzungen gegeben sind ("the proposed class meets the first three requirements"), wurde festgehalten, dass die vierte derzeit noch nicht gegeben ist und binnen einer Frist von dreißig Tagen zu erfüllen ist (d.h. dass die Repräsentanten noch zu bestimmen sind).

Zusätzlich zu diesen vier Voraussetzungen muss die Klage in eine der drei Kategorien der Rule 23 (b) fallen. Während die ersten beiden auf Feststellung, Unterlassung und Beseitigung gerichtet sind, kann mit der dritten vornehmlich Schadenersatz gefordert werden. Diese dritte Kategorie betont, dass die gemeinsamen Streitpunkte in dem betreffenden Fall gegenüber den individuellen Besonderheiten des einzelnen Klägers im Vordergrund stehen ("predominate") müssen. Weiters muss die Form der "class action" als für diesen Konflikt passend angesehen werden ("superior to other available methods"). Diese dritte Kategorie wird in der Causa Kaprun bejaht.

Es besteht nun auch für ausländische Opferfamilien der Seilbahnkatastrophe die Möglichkeit, sich dieser "class action" anzuschließen. Der amerikanische Anwalt Ed Fagan hat bereits im letzten Jahr behauptet, dass zwei Drittel der betroffenen Familien Interesse angemeldet hätten (mehr als zwanzig deutsche, über fünfzig österreichische und zehn japanische). Jedoch dürfen die ausländischen Opfer ("non-American plaintiffs") ihre Klagen gegenüber ausländischen Beklagten ("foreign defendants") in den USA nicht geltend machen. Vielmehr können sie nur Klagen gegen US-Staatsbürger oder US-Firmen aufgrund von "diversity grounds" geltend machen.

Umstrittenes Rechtsinstitut

Nicht nur in Europa wird die Sammelklage nach US-amerikanischem Recht kritisiert, sondern auch in den USA selbst ist sie umstritten. Prozessuale Zweckmäßigkeitserwägungen werden ebenso vorgebracht wie die Einwände, die "class action" sei ein bloßes Druckmittel oder eine "legalisierte Erpressung", da nur etwa 10 Prozent aller Klagen zu einem Sachurteil führen und die meisten Fälle in Form von "freiwilligen Zahlungen" abgeschlossen werden.

Dies wird nun auch für die ausländischen Opferfamilien von Bedeutung sein, da zu erwarten ist, dass diese "freiwilligen Zahlungen" höher sein werden als jener Betrag, der in Europa üblicherweise als Schadenersatz erstattet wird. Allerdings ist in einer im August 2002 ergangenen Entscheidung gegen die Siemens AG, in der die Zuständigkeit bejaht wurde, festgestellt worden, dass österreichisches Recht auf den Fall anzuwenden sei.

Freilich ist der Ausgang aber in jedem Falle ungewiss: Nicht immer muss Julia Roberts siegen.