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Sammeln ist eine Leidenschaft

Von Basil Wegener

Wissen

Bananen-Aufkleber, Eisenspielzeug, schlichte Stoffreste oder besonderer Wein - noch nie hatte die Sammelleidenschaft der Menschen so viele Gesichter wie heute. Zur atemlosen und bisweilen exzentrischen Jagd nach schillernden Objekten auf Flohmärkten und Auktionen tritt allmählich wieder stärker ein liebevolles Bewahren ganz alltäglicher Dinge.


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Viele dutzend Sammler-Börsen, Magazine, Internetforen und allgegenwärtige Trödelmärkte zeugen in Deutschland von der unglaublichen Vielfalt und Buntheit der Sammler-Szene. Liebesbriefe und Lippenstifte, Herzen und Hüte, Teddys und Traktoren - alles, so scheint es, wird gesammelt.

Dabei ist natürlich auch das Sammeln Moden unterworfen. "Rückläufig scheint der Trend zu sein zum Beispiel bei Überraschungs-Eiern, Telefonkarten oder Swatch-Uhren, wohingegen alte Reklameschilder immer gleichermaßen beliebt und teuer sind", sagt Anja Zietz, verantwortlich für die in Hannover erscheinende Zeitschrift "Sammler Markt". Modellbau und Spielzeug seien immer gefragt, und überhaupt: Dinge mit Wert, bloß kein Schnickschnack.

Woran aber bemisst sich der Wert? Wenn im Wiener Auktionshaus Palais Kinsky bei einer Pfeifen-Versteigerung ein Exemplar mit einem Stierkopf angeboten wird, blättern Sammler nach Angaben von Zietz dafür schon mal 15.000 Euro hin.

Philosophen und Sammel-Profis glauben, dass die Menschen ihren Trieb zum Sammeln, Aufheben und Einsortieren immer stärker ausleben. Sie betrachten dies auch als Gegenreaktion auf das bedenkliche Auftürmen von Überfluss in der Gesellschaft und das bedenkenlose Wegschmeißen - dient eine Sammlung doch auch als eine Art wärmender Kokon zum Schutz vor Reizüberflutung und Beliebigkeit.

"Sammeln als Massenbewegung lässt sich als Kompensation deuten", sagt der Greifswalder Forscher und Autor Andreas Urs Sommer ("Die Hortung. Eine Philosophie des Sammelns"). Kaufhäuser, Werbung und Fernsehen versprechen immer neues Glück. Sammler widersetzen sich dem Dauerzwang zum Konsumieren und Genießen, indem sie sich ein persönliches, kleines Paradies aus Puppen, Porzellan oder Pelzmützen einrichten - "eine eigene Lebenswelt" (Sommer). Dabei seien typische Sammler "eigentlich eher Jäger", sagt Sommer. Sie jagen ihren Objekten der Begierden hinterher.

Doch neben diesem klassischen Freizeitvergnügen kehren in jüngster Zeit auch andere, viel urtümlichere Formen des Sammelns zurück. "Viele gehen mit offenem Blick durch die Warenwelt und lassen alten Dingen eine Chance", sagt der Stuttgarter Kulturwissenschaftler Thomas Schloz, der in dem Buch "Die Geste des Sammelns" das Phänomen umfassend beleuchtete. "Jeder hat bestimmte Teile, die er nicht wegwerfen will, obwohl sie optisch hinüber sind" - und die stattdessen in Dosen, Schachteln, Schatullen oder Säcke wandern. Manche lieben ihre alten Unterhemden; manche haben kein Geld für neue Lampen; andere wollen lieber weiter ihre gebrauchten Möbel nutzen, als alle paar Jahre neue zu kaufen, die dem Möbelhaus viel, dem Charme der eigenen Wohnung aber vielleicht nur wenig dienen.

Für das Aufheben und Bewahren gibt es viele Gründe in Zeiten von Umweltzerstörung und Ressourcenverschleiß einerseits, von Rezessionsängsten andrerseits und von Überfluss-Verdruss zum dritten. Nicht zufällig haben Kritiker reihenweise die französische Filmemacherin Agnes Varda gefeiert, als sie mit dem Film "Die Sammler und die Sammlerin" jüngst eine leichtfüßige Hymne auf diese normalste Sache der Welt vorlegte - und weniger reiche Exzentriker, sondern ganz normale Menschen, viele Arme auch, beim Sammeln zeigte.

Mit dem Sammeln ist es wohl so widersprüchlich wie mit dem Leben überhaupt: Je mehr in der Gesellschaft weggeworfen wird - so scheint es zunehmend - desto mehr wird andererseits auch aufgehoben.

Internet: Eine von vielen kuriosen Sammlungen: http://www.b-a-m.de