Trotz der Verurteilung von Lee Jae-yong muss sich der Technologiekonzern keine Sorgen um das Tagesgeschäft machen.
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Seoul. Für südkoreanische Medien war es der "Prozess des Jahrhunderts": Mit dem Samsung-Erbfolger Lee Jae-yong stand am Freitag schließlich nicht weniger als der nach dem Präsidenten zweitmächtigste Mann des Landes auf der Anklagebank. Vom Seouler Gerichtshof wurde er nun zu einer Gefängnisstrafe von fünf Jahren verurteilt.
Der 49-jährige Lee wurde unter anderem in den Anklagepunkten Bestechung, Veruntreuung und Meineid für schuldig gesprochen. Sein Urteil ist Teil eines massiven Korruptionsskandals, der bereits zur Amtsenthebung und Untersuchungshaft von Ex-Präsidentin Park Geun-hye geführt hat. Unter anderem soll Samsung umgerechnet 34 Millionen Euro als getarnte Spenden an eine enge Vertraute von Park gezahlt haben.
"Die Krux in diesem Fall ist die betrügerische Komplizenschaft zwischen politischen und wirtschaftlichen Kräften", heißt es in der Urteilsbegründung. Die linksgerichtete Regierungspartei wertete den Befund als Aufforderung an Samsung, seiner sozialen Verantwortung gerecht zu werden.
In der koreanischen Geschäftswelt wurde der Schuldspruch allerdings mit Panik aufgenommen: Lee habe ja nicht aus kriminellen Motiven gehandelt haben, heißt es in den Unternehmensvorständen. Vielmehr ging es ihm darum, Probleme mit der fordernden Regierung zu vermeiden. Die Richter gehen ebenfalls davon aus, dass nicht Lee, sondern die damalige Präsidentin Park Geun-hye die treibende Kraft hinter den Gefälligkeitsgeschäften war.
Insofern hat das Urteil die Aussichten von Park auf einen Freispruch deutlich verringert. Ihre konservativen Anhänger haben sich zu Dutzenden vor dem Seouler Gerichtshof versammelt - und zunächst euphorisch mit ihren Südkorea-Flaggen gewedelt. Nach der Urteilsverkündigung brachen die Senioren lautstark in Tränen aus; ein Mann mit Megafon ließ seinen Frust in endlosen Hasstiraden raus.
"Das Urteil wird außerhalb Koreas keinen allzu großen Einfluss haben", glaubt Samsung-Experte Geoffrey Cain, der für eine Buchrecherche in den letzten Jahren rund 300 Samsung-Manager interviewt hat. "Die Rückrufaktion des Galaxy Note 7 war wesentlich schlimmer für die Firma", sagt er. Solange das kürzlich auf dem Markt präsentierte Galaxy 8 sich gut verkaufe, müsse sich Samsung nicht weiter um seine unmittelbare Zukunft sorgen.
Tatsächlich hat Samsung in seinem letzten Geschäftsquartal Rekordgewinne postuliert, als Lee Jae-yong bereits in Untersuchungshaft saß. Die Verurteilung wird zynisch als "Initiationsritus" bezeichnet: "Irgendwie gehört das für einen Chaebol-Vorstand dazu", wie die Firmennetzwerke genannt werden. Der Großteil von Lees engen Verwandten sind schließlich verurteilte Wirtschaftskriminelle - allen voran Lees Vater Lee Kun-hee, der zwar seit 2014 im Koma liegt, aber auf dem Papier noch immer das Unternehmen führt.
Bislang jedoch wurden die meisten südkoreanischen Unternehmensvorstände bei Steuerhinterziehung und Korruption zu milden Strafen verurteilt, die noch vor ihrem Gefängnisantritt aufgehoben wurden. Bei der Begründung berief sich das Gericht meist auf das volkswirtschaftliche Interesse. Schließlich würde Südkoreas Wohl von den großen Mischkonzernen abhängen.
Lee Jae-yong muss allerdings - sollte das Urteil der Revision standhalten - nun definitiv hinter Gitter. Strafen von mehr als drei Jahren können laut koreanischem Rechtssystem nicht zur Bewährung aufgehoben werden.
Für Südkorea ist dies ein überaus bedeutungsschweres Urteil. Samsung generiert fast ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukts; kein anderes Unternehmen ist stärker mit dem rasanten Wirtschaftsaufschwung des Landes verbunden als Samsung. In den 1960er und 70er Jahren waren die familiengeführten Mischkonzerne der Antriebsmotor für das "Wunder vom Han-Fluss".
Während Samsung im Ausland vor allem für seine Smartphones bekannt ist, ist das Unternehmen in seiner Heimat auch noch der größte Lebensversicherer, betreibt einen Vergnügungspark, baut Wohnungen, stellt Kreditkarten aus und führt Einkaufshäuser sowie Lebensmittelunternehmen. Der Einfluss des Konzerns ist derart omnipräsent, dass die meisten Skandale Samsungs sowohl von den heimischen Medien ignoriert wurden als auch rechtlich überaus milde geahndet worden sind.
Gegenwind für Unternehmen
Nicht zuletzt deshalb hat sich die öffentliche Stimmung gegenüber den großen, familiengeführten Konglomeraten in den letzten Jahren entschieden gewendet: Während früher der Stolz auf die wirtschaftlichen Errungenschaften überwog, sind besonders junge Südkoreaner über die korrupten Machenschaften von Samsung und anderen Firmen erzürnt. Im Wahlkampf im Mai spielte etwa die Sicherheitsbedrohung durch Nordkorea nur eine untergeordnete Rolle - entscheidend jedoch waren die Versprechen der Kandidaten zur gründlichen Chaebol-Reform.
Vor allem der linksgerichtete Moon Jae-in, der schließlich mit großem Vorsprung zum Präsidenten gewählt wurde, konnte mit seiner harten Vorgehensweise gegen die Konglomerate punkten. Immer wieder hat sich Moon gegen die Privilegien der Unternehmensvorstände ausgesprochen, ebenso möchte er Steuerschlupflöcher und Intransparenz stoppen. Noch muss er jedoch beweisen, seine Versprechen auch in die Tat umsetzen zu können.
Vielen Gewerkschaften ging das Urteil allerdings nicht weit genug; schließlich hatte die Staatsanwaltschaft zwölf Jahre Haft für den Samsung-Erbfolger gefordert. "Die Bestechungsgelder von Lee hätten auch den Opfern von Samsung-Fabriken zu gute kommen können", sagt der südkoreanische Menschenrechtsaktivist Hwang Sang-gi: "Es ist inakzeptabel, dass er nur fünf Jahre bekommen hat." Ein gewöhnlicher Krimineller wäre laut Hwang härter bestraft worden.