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Samt Hab und Gut auf der Straße

Von Arian Faal

Politik
© Caritas

Durch Wartezeiten bei der Bewilligung des Mietzuschusses haben Asylwerber ihre privaten Unterkünfte verloren.


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Wien. Es regnet in Strömen und der Wind bläst einem eiskalt ins Gesicht. Dennoch haben sich in der Spitalgasse, gegenüber vom Alten AKH, bereits um 7.45 Uhr dutzende Menschen vor dem Caritas Erstaufnahme- und Beratungszentrum versammelt, um nach der Öffnung möglichst rasch dranzukommen. Schnell noch eine Zigarette vor der Tür rauchen, Landsleute nach den neuesten Informationen bezüglich Deutschkursen oder Ermäßigungen befragen oder einfach nur starr dastehen. Die Menschen, die hierher kommen, haben sehr viel erlebt und sind Kummer gewohnt.

Ein junger äußerst trainierter Mann hat Tränen in den Augen. Immer wieder schluchzt er. Einige Asylwerber fragen ihn, ob alles o.k. sei, er nickt höflich und knickt seinen Kopf zusammen. Er heißt Farid J. (Name geändert und der Redaktion bekannt, Anm.), stammt aus dem Iran und ist seit etwa fünf Monaten in Österreich. O.k. ist bei ihm seit drei Wochen nichts mehr. Er hat durch die langen Wartezeiten bei der Bewilligung des Mietzuschusses durch den Fonds Soziales Wien seine private Unterkunft verloren und wurde samt seinem Hab und Gut, einem schwarzen Rucksack mit seinen wichtigsten privaten Gegenständen und einigen Kleidungsstücken, beinhart von seinem Vermieter hinausgeworfen. Die Kaution hat sich der Landsmann einbehalten. Farid holt tief Luft. "Wenn du einmal aus deiner Heimat geflohen bist und alles verloren hast, also deine Freunde, dein Zuhause, deine Familie, und mit einem kleinen Koffer von null anfangen musst, dann denkst du dir, es geht nicht mehr schlimmer. Aber anscheinend ist immer noch eine Steigerung möglich", sagt er resignierend. Er wohnte kurzfristig bei Freunden und hat zwar eine neue Unterkunft in Aussicht, aber ist abhängig von den Unterstützungsmaßnahmen.

Farid ist nicht der Einzige, der in diesen kalten Herbsttagen plötzlich ohne Dach über dem Kopf dasteht. Am Caritasschalter wird von einer neu eingeschulten Mitarbeiterin zunächst erklärt, dass es viele Betroffene gibt und man nichts machen könne für ihn. Denn er habe seit Juni ja ohnehin bereits drei Vorauszahlungen der Grundbesorgungen erhalten. Asylwerber im laufenden Verfahren bekommen etwa 215 Euro pro Monat für die Grundversorgung und weitere 150 Euro Wohnschuss von der Caritas, wenn der Kooperationspartner Fonds Soziales Wien die Bewilligung erteilt.

Die Teamleiterin wird hinzugezogen. Farid schluckt. Nochmals versucht er wegen der Sprachbarrieren, über zwei Ecken seine Situation zu erklären. Nach einigem Hin und Her sagt die Teamleiterin, sie könne ihm zwei Dinge anbieten. Einen vierten Vorschuss in Höhe von 215 Euro, aber erst in einer Woche, und einen Beschwerdetermin beim Fonds Soziales Wien, aber erst im Dezember. "Glauben Sie mir, ich weiß, dass es nicht einfach ist, ich bin den ganzen Tag damit beschäftigt, Beschwerdetermine zu vergeben, schauen Sie sich die Mappe an, alles voll", erklärt sie.

Rettungsanker

Farid nimmt beide Angebote dankend an. Am selben Vormittag kommen zwei weitere junge Burschen mit demselben Problem und bekommen dieselbe Antwort. Die Caritas-Mitarbeiter versuchen zu trösten und die schlechte Nachricht menschlich zu verpacken. Sie sind in dieser Situation Berater, Seelsorger, ein letzter Rettungsanker für die Asylwerber. "Wie kann es sein, dass ich nach vier Monaten immer noch immer keine Antwort habe?", will Farid wissen. "Es gibt leider so viele Fälle und dadurch dauert es. Wir sagen es bei jeder Teambesprechung und hoffen, dass es besser wird", erklärt die Caritasmitarbeiterin. Es sei bereits ein Fortschritt, dass die vierte Vorauszahlung bewilligt wurde. Nachsatz: "Aber wir haben von oben unsere Vorschriften und müssen uns daran halten."

Die "Wiener Zeitung" fragte bei Caritas und Fonds Soziales Wien nach. "Gemeinsam mit dem FSW haben wir schon zahlreiche Schritte gesetzt, um die Wartezeit für die Betroffenen möglichst gering zu halten", erklärt Caritas-Sprecher

Lediglich Härtefälle

Kapazitäten wurden erweitert und die einzelnen Abläufe wurden und werden weiter verbessert", ergänzt er. Das Ziel sei klar: Man wolle den Menschen rasch Klarheit geben, um nach einem ersten Unterkommen auch ein nachhaltiges Ankommen in der Gesellschaft zu ermöglichen. Das Thema Wohnen spiele hier eine ganz wesentliche Rolle. Dann folgt ein dringender Appell an die Bevölkerung. "Wir sind dringend auf die Unterstützung aus der Bevölkerung angewiesen und suchen Vermieter, die leistbaren Wohnraum zur Verfügung stellen können - für Flüchtlinge, aber auch für wohnungslose Wienerinnen und Wiener", so der Sprecher.

Ähnlich argumentiert auch der Fonds Soziales Wien und verweist auf die Ressourcen. "Obwohl das Personal sowohl im Asylzentrum der Caritas als auch in den zuständigen Abteilungen des FSW aufgestockt wurde, stellt der Anstieg an Anträgen eine Herausforderung dar, die zu Wartezeiten bei der Bewilligung von Leistungen führen kann", heißt es auf Anfrage der "Wiener Zeitung". "Derzeit beträgt die durchschnittliche Bearbeitungszeit von der Antragstellung bis zu einer Entscheidung über die Bewilligung von Mietzuschuss ungefähr acht Wochen. Um diese Zeit zu verkürzen, arbeiten wir gemeinsam mit der Caritas an einer Verbesserung der Abläufe", sagt der Pressesprecher. Wenn abschätzbar sei, dass der Antragsteller Anspruch auf Leistungen hat, könne das Asylzentrum zur Überbrückung der Wartezeit zudem einen Vorschuss für die Grundversorgung auszahlen. Auch bezüglich der Wartezeit für Beschwerdetermine werde mit der Caritas eine Lösung gesucht. Die Anzahl der dafür vorgesehenen Sprechstunden wurde bereits verdoppelt.

Allerdings sehe man sich hier mit der Problematik konfrontiert, dass nicht wenige Termine seitens der Asylwerber nicht wahrgenommen werden und somit nicht an jene neu vergeben werden können, die sie dringend bräuchten. Die konkret angesprochenen Begebenheiten, auf die die "Wiener Zeitung" aufmerksam macht, bezeichnet der FSW als "Härtefälle". "Was die von Ihnen angesprochenen Härtefälle betrifft, können wir ohne Kenntnis der konkreten Sachlage keine Aussagen treffen. Wenn die Betroffenen ihre Argumente nochmals vorbringen wollen, sind wir gerne bereit, einen entsprechenden Termin zu vereinbaren", heißt es.

Weiters wird darauf hinweisen, dass privat wohnende Asylwerber in Wien jederzeit in ein organisiertes Quartier wechseln können. Eine Woche später, als Farid seinen vierten Vorschuss abholen will, gibt es zumindest in seinem Fall vorläufig ein Happy End. Die Bewilligung ist eingetroffen und er bekommt seinen Wohnzuschuss rückwirkend ausbezahlt. Farid strahlt und kann sein Glück nicht fassen, doch für viele andere heißt es nach wie vor: Bitte warten.

Die Anzahl der privat wohnenden Personen in Wiener Grundversorgung ist in den vergangenen Monaten deutlich gestiegen. Waren es zu Beginn dieses Jahres rund 8300 Personen (von insgesamt 18.600), sind es aktuell - Stand Anfang Oktober - 12.800 Personen (von gesamt 20.500). Menschen, die hier helfen wollen, können sich an wohnraumsuche@caritas-wien.at wenden.

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