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Sand im Getriebe der EU-Justiz-Kooperation

Von Frank Höpfel

Gastkommentare

Warum in Litauen nicht verstanden wurde (und wird?), was Österreich in der Causa Michail Golowatow gebraucht hätte.


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Die Debatte nach der Verhaftung des Ex-KGB-Offiziers Michail Golowatow am 14. Juli 2011 auf dem Flughafen Wien-Schwechat und seine Freilassung weniger als 24 Stunden später fand offenbar am vergangenen Freitag ihren vorläufigen Schlusspunkt. Bei einem Treffen der österreichischen Justizministerin mit ihrem Amtskollegen aus Vilnius in Brüssel wurde nun so etwas wie eine Einigung erzielt. Man erklärte gemeinsam, man wolle aus den begangenen Fehlern lernen. Doch beharrten, wie es scheint, beide Seiten auf ihren Ausgangsstandpunkten. Aus österreichischer Warte ist man sich keiner Schuld bewusst, während man in Litauen nach wie vor nicht versteht, warum das Ersuchen um vorläufige Auslieferungshaft keinen Erfolg hatte.

Das macht eine erschreckende Ignoranz der geltenden Regeln der justiziellen Zusammenarbeit seitens Litauens bewusst. Gewiss hatten die Staaten, die in den jüngsten Erweiterungsrunden der EU dazugekommen sind - vor allem jene aus dem früheren "Ostblock" -, eine enorme Menge an neuen rechtlichen Instrumenten in ihr juristisches "Weltbild" einzubauen. Das Ende des Ost-West-Konflikts mit der Erweiterung des Europarats in den 1990er-Jahren und der Beitritt zur EU im Jahr 2004 stellten gerade kleine Länder wie die baltischen Staaten vor die Herkules-Aufgabe, diese Entwicklungen auch juristisch zu verkraften. Dennoch ist es nicht zu entschuldigen, wenn nun in untergriffiger Art den österreichischen Behörden eine schlichte politische Interessenabwägung unterstellt wird, die zu einem "Kniefall" vor Russland geführt habe.

Das Gegenteil ist der Fall. In aller Eindeutigkeit muss gesagt werden, dass die Kritik am österreichischen Vorgehen unberechtigt war. Das betrifft zum Beispiel auch den offenen Brief der Präsidentin des Parlaments der Republik Litauen vom 19. Juli 2011 an die Präsidentinnen des National- und des Bundesrats. In diesem Brief spricht sie von einer "groben Verletzung des Völkerrechts und Europarechts" und beruft sich dabei auf den in der Präambel zum Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl genannten Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens der EU-Mitgliedstaaten.

Was diesen Rahmenbeschluss betrifft, so entwickelte sich der Europäische Haftbefehl zwar zu einem wirksamen Instrument der Zusammenarbeit. Im Zusammenhang mit der Causa Golowatow ist aber bedeutsam, dass die fraglichen Taten im Jänner 1991 stattgefunden haben. Gemäß Artikel 32 des genannten Rahmenbeschlusses aus dem Jahr 2002 hat Österreich erklärt, auf Altfälle nicht den Europäischen Haftbefehl, sondern das traditionelle Auslieferungsrecht anzuwenden. Dessen Grundsatz: Um ein korrektes Ersuchen zu formulieren, muss der ersuchende Staat dem ersuchten eine Sachverhaltsschilderung liefern. Hätte Österreich ohne eine solche die vorläufige Auslieferungshaft verhängt, wäre es Gefahr gelaufen, vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg wegen rechtswidriger Haft verurteilt zu werden.

Frank Höpfel lehrt Strafrecht und Strafprozessrecht an der Uni Wien und war Richter am Jugoslawien-Kriegsverbrechertribunal.