Vor 90 Jahren wurde in Edlach ein alpines Strandbad eröffnet - mit echtem Sand aus Grado.
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Wien/Semmering. Da staunten die Bewohner und Kurgäste nicht schlecht, als da eines Tages mehrere Lastkraftwagen, beladen mit feinstem Sand, durch das kleine beschauliche Edlach ratterten. Immerhin mindestens einige Tonnen dürften es gewesen sein, die hier im Juni 1928 direkt im Zentrum des noch jungen Kurortes - zwischen Kuranstalt und dem legendären "Edlacherhof" - auf die grüne Wiese gekippt wurden. Auf Anweisung der Gemeindeverwaltung versteht sich. Diese hatte nur wenige Wochen zuvor, am 24. März, den bisher in Österreich einzigartigen Beschluss gefasst, Edlach ein neues öffentliches Strandbad zu geben - inklusive echten weißen Sandes von den Stränden der blauen Adria.
Genau genommen stammte der Sand aus Grado - aus jenem Seebad also, das bis 1918 zur Donaumonarchie gehört hatte und aufgrund seiner jodhaltigen Salzluft bereits 1892 auf Geheiß von Kaiser Franz Joseph zum "kaiserlich-königlichen Seebad" ernannt worden war. Die Urlaubsstimmung der einst österreichischen Riviera und mit ihr wohl auch die damit verbundene Nostalgie von der fernen Adria direkt an den Fuß der Rax zu verpflanzen, war nicht nur eine herausragende Idee, sondern passte auch ins Konzept Reichenaus, sich als vielfältige Fremdenverkehrsgemeinde - einschließlich des Badetourismus - zu positionieren. Am Vormittag auf Bergpartie, am Nachmittag ins kühle Nass? In Edlach war das dank der erst 1926 errichteten, ersten Personenseilbahn Österreichs auf die Rax sowie des neuen Strandbades tatsächlich möglich.
Die Reaktionen der Gäste, aber auch der heimischen Presse auf das Vorhaben waren gewaltig. "Im Kurorte Edlach bei Reichenau am Fuße der Rax wird ein Warmwasserschwimmbad mit Strand aus Meeressand (. . .) eröffnet", berichtete die "Wiener Zeitung" und zeigte sich besonders ob der technischen Details der Aufbereitung des Badewassers, das direkt den Quellen der Rax entnommen wurde, begeistert. "Das weiche Badewasser wird von einem ständigen Zufluß gespeist sein, durch technische Vorrichtungen vollkommen entkeimt und bis 22 Grad erwärmt werden können. Das neue Strandbad wird somit in nächster Nähe Wiens die Vorzüge des Lido oder des Wörther Sees seinen Besuchern bieten." Ähnlich enthusiastisch über den "Alpen-Lido" äußerte sich auch die "Schwarzataler Zeitung": "Das Strandbad ist eine neue Attraktion, welche geeignet ist, nicht nur die alten Anhänger Edlachs, sondern auch weitere Besucher der Gegend zu gewinnen. Insbesondere wird die sport- und flirtlustige Jugend den Ort bevölkern, denn das, was diesem gefehlt hat, ist durch das mit allen neuzeitlichen Einrichtungen ausgestattete Strandbad geschaffen worden." Den Besuchern standen folglich nicht nur Umkleidekabinen, Kabanen und Strandkörbe, sondern auch ein Kaffeehausbetrieb, ein Frisiersalon sowie ein Erfrischungsraum im imposanten Verwaltungsgebäude zur Verfügung. Das Schwimmbecken wiederum, an das auf einer Seite der Sandstrand anschloss, war in seinen Abmessungen 33 Meter mal 12 Meter groß, also "nicht überwältigend groß, aber dafür aus dem feinsten Sand von Grado hergestellt", wie die "Illustrierte Kronen-Zeitung" in Erinnerung rief.
Da nimmt es auch nicht Wunder, dass die Eröffnung des Bades vor 90 Jahren - am 24. Juli 1928 - zu einem Klassentreffen der regionalen Politik und Gesellschaft mutierte. Dass die Ansprachen aufgrund eines plötzlich einsetzenden Gewitters nicht im feinen Grado-Sand, sondern in der Halle des Verwaltungsgebäudes gehalten werden mussten, tat der guten Stimmung keinen Abbruch. Man war stolz auf das neue Bad - nicht zuletzt auch deswegen, weil man sich so Semmering, das sein "Alpenstrandbad" (wenn auch ohne Sand) erst 1932 erhielt, um eine Nasenlänge voraus wähnte.
Nur die Sandkiste ist geblieben
Heute gibt es im Edlacher Strandbad keinen Sand aus Grado mehr. Lediglich eine verlassene Sandkiste für die Kinder erinnert noch an die Zeit, als hier die Besucher ihre Zehen in die feinen Körner steckten. Seit dem Vorjahr ist die Badeanlage, die bis dahin von einem Privatpächter betrieben worden war, geschlossen. Ein Nachfolger konnte nicht gefunden werden, auch war die Gemeinde Reichenau nicht bereit, den Betrieb zu finanzieren. Und so rostet das Bad vor sich hin. Nur ein Schild mit der Aufschrift "K.u.k. Strandbad" ist geblieben. Was historisch natürlich Unfug ist. Und wenn, so müsste es wohl k.k. heißen.