Das provisorische Flüchtlingslager ist Geschichte. Die Menschen werden in offizielle Lager gebracht.
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Athen. Blau, grün, weiß: Kunterbunt ging es plötzlich Dienstagfrüh im Flüchtlingslager in Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze zu. Ob die dunkelblauen Polizeibusse mit mehr als 1400 Polizisten an Bord oder die etwa drei Dutzend blütenweißen Fernbusse mit skurrill wirkenden Aufschriften wie "Anthymos Travel" oder "Crazy Holidays": Sie alle fuhren zu dem Großeinsatz. Der war schon seit geraumer Zeit penibel geplant und erst am Vortag angekündigt worden.
Das Ziel: die Räumung des provisorischen Camps Idomeni. Klare Ansage von oben: "Keine Gewalt anwenden!" Und in der Tat: Es lief alles nach Plan, also friedlich. Potenzielle Unruhestifter unter den offiziell 8199 Insassen des Camps hatten die griechischen Behörden, darunter Geheimpolizisten, schon im Vorfeld der Aktion ausgemacht. Im Fall der Fälle sollten sie, so das Behördengriechisch, "neutralisiert" werden.
Kein "Hauruckverfahren"
Flüchtlingshelfer und Medienschaffende wurden bereits am Vorabend unmissverständlich dazu aufgefordert, das Camp zu verlassen. Andernfalls drohte ihnen die Verhaftung. Journalisten hielt man am Dienstag auf Distanz. Stattliche sechs Kilometer vor dem Camp stoppte sie die griechische Polizei. Nur der während der Räumung permanent über dem Camp kreisende Polizeihubschrauber lieferte Videos. Lediglich die halbamtliche Nachrichtenagentur ANA sowie der Staatssender ERT durften vom Ort des Geschehens berichten.
Die Räumung Idomenis werde etwa zehn Tage dauern, stellte Georgios Kyritsis, Sprecher des griechischen Flüchtlingskrisenstabs, klar. Es handle sich bewusst nicht um eine Räumungsaktion im "Hauruckverfahren", sondern um eine "sanfte" Prozedur. Bereits in der vorigen Woche hätten rund 2500 Flüchtlinge und Migranten das Camp in Richtung der organisierten Lager verlassen.
Am Dienstag verließen die ersten Fernbusse das Camp um kurz nach 8 Uhr. Nach einer Stunde Fahrt erreichten sie ein organisiertes Flüchtlingslager in Sindos unweit von Thessaloniki. Sindos weist Kapazitäten für 1000 Menschen auf. Am Dienstag weilten hier 312 Flüchtlinge und Migranten - vor dem Eintreffen der "Neuen" aus Idomeni. Nur: Wohin mit den übrigen 8000 Flüchtlingen aus Idomeni? Platz gibt es für sie in Griechenland kaum. Derzeit harren dort, in Europas neuer Pufferzone nach Schließung der Balkanroute im Februar und dem Inkrafttreten des EU-Türkei-Deals Ende März, genau 54.124 Menschen aus. Die Kapazitäten auf den Ost-Ägäis-Inseln und den insgesamt 41 organisierten Festlandlagern: 48.840. Immerhin: Nach dem Inkrafttreten des EU-Türkei-Flüchtlingsdeals ist der Flüchtlingsstrom nach Griechenland fast versiegt. In den 24 Stunden vor der Räumung Idomenis setzten nur 29 Flüchtlinge auf die griechischen Inseln über.
Unhaltbare Zustände im Lager
Die Räumung des Camps kam nicht überraschend. Zuletzt sollen der Handel mit Drogen sowie Prostitution geblüht haben. Die etwa 120 ständigen Einwohner von Idomeni beklagten sich zudem vermehrt über die unhaltbaren Zustände im Camp.
Ferner blieb die für den grenzüberschreitenden Güterverkehr wichtige Bahnstrecke von Thessaloniki nach Skopje 66 Tage lang blockiert. Hunderte Flüchtlinge campierten mit ihren Zelten zwischen den Gleisen am Bahnhof.
Selbst die betont flüchtlingsfreundliche Athener Regierung unter Premier Alexis Tsipras vom "Bündnis der Radikalen Linken" (Syriza) sah sich daher zum Handeln veranlasst. Syriza-Mann Kyritsis betonte, die ehemaligen Idomeni-Insassen könnten nun in den Lagern einen Asylantrag stellen oder die Verteilung in andere EU-Länder beantragen. Doch die Verteilung der Flüchtlinge von Hellas in andere EU-Länder verläuft bisher sehr schleppend.
In Griechenland will jedenfalls keiner bleiben. Wer bis zuletzt in Idomeni ausharrte, hoffte auf eine baldige Grenzöffnung, um nach Mittel- und Nordeuropa zu gelangen. Spätestens seit Dienstag ist klar: Dieser Traum ist geplatzt.