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"Sanierung 2011 kein Automatismus"

Von Reinhard Göweil

Europaarchiv

EU-Kommissar Laszlo Andor warnt vor "vorschnellem Ausstieg" aus Budgetdefiziten. | Hohe Arbeitslosigkeit schürt soziale Konflikte. | Brüssel. "Es ist in dieser Krise sehr schwierig, in die Zukunft zu blicken", sagte Laszlo Andor, der aus Ungarn stammende EU-Kommissar für Soziales und Beschäftigung, in Brüssel. "Wir müssen alles tun, um den Weg aus dieser Krise zu finden." Das Programm der EU, genannt "2020" (siehe Artikel oben), will - wenig erstaunlich - eines erreichen: Neue Jobs. | Jobs und Wachstum als Herzstück


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23 Millionen Arbeitslose gibt es in Europa, 20 Millionen Europäer sind von Armut bedroht. Um das alles bewerkstelligen können, wird es schwierig werden für die EU-Mitgliedsländer, gleichzeitig mit der Budgetsanierung beginnen zu können. Die soll 2011 losgehen.

Die EU-Kommission setzt aber die Priorität offensichtlich - ohne dies explizit so auszudrücken - auf den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. "Wir stehen natürlich auch zu unserem Ziel, das Budgetdefizit zu reduzieren", nähert sich Andor dem Thema vorsichtig. "Aber 2011 ist dafür kein Automatismus, wir schauen nicht fix auf diesen Termin."

Die Überlegung dahinter: Bei den öffentlichen Budgets soll offenbar erst gespart werden, wenn die Arbeitslosigkeit im privaten Sektor wieder zurückgeht. Das ist aber - nach den jüngsten Wirtschaftsdaten - frühestens 2012 der Fall.

Stärkere soziale Verantwortung

Sozialpolitik ist in Europa weitgehend Sache der nationalen Regierungen, die EU hat hier wenig Mitsprachemöglichkeiten. Das sollte sich aber ändern, wenn die Überlegungen einer "europäischen Wirtschaftsregierung" Platz greifen. Andor weiß sich hier auf festem Grund: "Zwei Drittel der europäischen Bürger wünschen sich von der EU eine stärkere soziale Verantwortung." Armutsbekämpfung wird den EU-Staaten vorerst auch finanzielle Anstrengungen abverlangen. Andor: "Es gibt in Europa zehn Millionen Roma, die davon stark betroffen sind. Das ist aber nicht nur eine Frage der fünf Länder, in denen diese Menschen weitgehend leben."

Um diese Solidarität zu erreichen, will die EU-Kommission vor allem den Einsatz der bestehenden Mittel bündeln und auf die "2020"-Ziele abstimmen. "Ein höheres Budget ist wohl auszuschließen", sagte eine Kommissions-Mitarbeiterin zur "Wiener Zeitung".

EU-Kommissar Andor: "Aber wir können die Mittel indirekt erhöhen, indem wir andere Institutionen wie die Europäische Investitionsbank stärker einbinden." Diese Hausbank der EU könnte auch Bildungs- und Forschungs-Investitionen fördern, weil das wieder private Investoren anziehen würde.

Es würden dann in Summe höhere Mittel für bestimmte Projekte zur Verfügung stehen, ohne das EU-Budget zu belasten. Denn Banken finanzieren sich am Kapitalmarkt.

Offene Kritik an Österreichs Banken

Ein besonders deutliches Signal wird auch an die Regulierung der Finanzmärkte gesandt. In Osteuropa beispielsweise haben Fremdwährungskredite an Häuslbauer die Armutsgefährdung vieler Menschen erhöht, weil deren Landeswährungen (etwa Forint in Ungarn) stark abgewertet haben und die betroffenen Familien Kredite nicht mehr abstottern können.

Der Ungar Andor macht aus seinem Herzen keine Mördergrube: "Österreichische Banken, die in der Region tätig sind, haben dieses Währungsrisiko, das sehr viele traf, ignoriert. Auch Finanzinstitute müssen stärkere Verantwortung zeigen."

Die mit der Finanzkrise losgetretene Wirtschaftskrise ist nun zu einer sozialen Krise geworden, vier Millionen Jobs in der Eurozone gingen dadurch verloren. Andor: "Es darf keinen überhasteten Ausstieg aus den Defiziten geben. Die Arbeitslosigkeit birgt die Gefahr sozialer Konflikte, und die Kommission warnt davor, dies in Kauf zu nehmen."

Das EU-Programm wird im März den Regierungschefs zum Beschluss vorgelegt.