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"Sanktionen kratzen Moskau nicht"

Von Klaus Huhold

Politik

Putins Politik sei keineswegs irrational, betont der Russland-Experte.


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"Wiener Zeitung": Wie weit schaden die jüngst beschlossenen Maßnahmen der EU Russland? Auf der Sanktionsliste stehen ja vor allem Leute aus der zweiten Reihe der russischen Politik.

Hans-Georg Heinrich: Solch verwässerte Reaktionen kratzen in Russland niemanden. Man kann sich sogar ausrechnen, dass zumindest der kurzfristige Effekt der gegenteilige ist. Die EU wird von der russischen Führung ohnehin als schwache Organisation gesehen, und das ist genau bestätigt worden.

Würde das auch bei einem Ausschluss aus dem Kreis der führenden Industrienationen, aus den G8, gelten?

Reale Auswirkungen auf die Wirtschaft hätte das eher nicht. Das würde eher auf die psychologische Ebene abzielen. Aber ich glaube nicht, dass das Putin sehr treffen würde. Er würde sich eher denken: "Dann halt ohne mich."

Warum hat sich die EU bisher nicht zu härteren Maßnahmen durchringen können?

Die EU ist aufgrund ihrer komplizierten Entscheidungsstruktur unfähig, wirklich schwerwiegende Sanktionen zu beschließen. In der Öffentlichkeit besteht zwar ein starker Zwang, für strenge Sanktionen einzutreten. In Wirklichkeit will das aber niemand, auch aus wirtschaftlichen Gründen. Man muss jedoch auch anmerken, dass diese Sanktionen nur als erster Schritt gedacht sind. Deutschland hat etwa schon gesagt, dass es auch zu härteren Maßnahmen bereit ist. Die Union wollte natürlich Putin auch zeigen, dass man kompromissbereit ist und im Gespräch bleiben will.

Prallen hier zwei Welten aufeinander? Ist Russland nicht viel eher bereit, für geopolitische Ziele auch wirtschaftliche Rückschläge in Kauf zu nehmen, als die EU?

Ja. Bei der Krim-Aktion sind gewisse Kosten, wie etwa Sanktion, eingepreist worden. Allerdings ist die längerfristige Dynamik der russischen Wirtschaft laut der Prognosen russischer Ökonomen nicht sehr positiv. Wenn einmal die Öl- und Gaspreise fallen sollten - und das hängt gar nicht so sehr mit der EU zusammen -, kann das für die russische Führung zum politischen Problem werden. Wenn nicht mehr das Budget vorhanden ist, um die Gehälter der Staatsbediensteten zu zahlen, dann würde das Putins Wähler treffen.

Jetzt haben auch die USA - ebenfalls noch zurückhaltende - Sanktionen beschlossen. Fürchtet Moskau die USA mehr als die EU?

Barack Obama fürchtet man in Moskau nicht, er wird eher als weich angesehen. Aber natürlich - Russland will mit der Supermacht USA auf Augenhöhe reden.

Wie weit ist denn Russland noch bereit zu gehen - auch was den Osten der Ukraine betrifft, in dem es ja Demonstrationen für einen Anschluss an Russland gibt?

Ich denke, das wird von Moskau offen gelassen. Putin wird wohl einer Mission der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Anm.) zustimmen, die sich dann hauptsächlich im Osten der Ukraine aufhält. Auf Moskaus Speisezettel stehen nun aber wohl Abchasien und Südossetien (von Georgien abtrünnige Gebiete, Anm.).

In Südossetien und Abchasien könnte also dasselbe geschehen wie auf der Krim?

Das ist durchaus möglich. Realpolitisch würde das aber nichts ändern. Georgien und der Westen bestehen zwar darauf, dass Abchasien und Südossetien zu Georgien gehören. Doch in Wirklichkeit sind sie ja schon russische Protektorate. Wenn sie nun zur Russischen Föderation hinzukommen, ist das vielleicht sogar negativ für Moskau - denn Russland wird dort viel Geld investieren müssen. Eine Infrastruktur ist dort überhaupt nicht vorhanden. Ein Referendum in diesen Regionen würde jedenfalls auch ohne jeglichen Zwang im Sinne Russlands ausgehen. Die Leute dort finden ja in Georgien keine Arbeit, was auch aufgrund der administrativen Prozeduren sehr schwierig ist. Die jungen Menschen studieren auf russischen Universitäten. Die Bürger in Südossetien und Abchasien sind nach Russland orientiert.

Bei der derzeitigen russischen Politik hat man generell den Eindruck, dass im Kreml die liberalen Geister an den Rand gedrängt wurden.

Die sind ganz stark marginalisiert. Das Umfeld im Kreml trägt die Politik Putins voll mit, die ja nicht unbedingt irrational ist.

Inwiefern?

Wenn man ein starkes Russland will, dann braucht man einen starken Wirtschaftsraum, dann braucht man das Projekt der Eurasischen Union. Insofern musste aus russischer Sicht in der Ukraine gehandelt werden. Und viele Möglichkeiten bestehen ja für Moskau noch immer: etwa indem die Ukraine föderalisiert wird und die Industriegebiete im Osten der Ukraine auf Russland fokussiert bleiben. Für den Wirtschaftsraum ist die Westukraine nicht bedeutsam, da gibt es Holz- und Landwirtschaft, ein bisschen Handwerk. Die wirtschaftliche Basis liegt im Osten der Ukraine.

Moskau wird sich also seinen Zugriff auf die Ostukraine, auf welche Weise auch immer, bewahren?

Hans-Georg Heinrich st emeritierter Professor am Wiener Institut für Politikwissenschaft und Vizepräsident des Instituts Iceur, das zu Russland und der EU forscht. Heinrich hat zahlreiche Publikationen über Russland veröffentlicht.