Paris - Sie kommen aus Mali, China, Algerien oder Cote d'Ivoire. Sie sind vor Jahren mit einem längst abgelaufenen Touristenvisum nach Frankreich gekommen oder haben einen inzwischen abgelehnten Asylantrag gestellt. Sie schlagen sich mit kleinen Jobs durch, bei denen niemand nach einer Arbeitserlaubnis fragt. Die "Sans Papiers" (ohne Papiere) leben in der Illegalität, von den Behörden und der Gesellschaft meist geduldet, von der Politik weitgehend ignoriert.
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Mit der Besetzung der weltbekannten Basilika in Saint-Denis bei Paris und fast täglichen Demonstrationen haben sie sich jetzt wieder Gehör verschafft. Seribi Ba Bertin setzte sich 1999 nach Frankreich ab. Seine Arbeit im Verkehrsministerium von Cote d'Ivoire habe er wegen "wirtschaftlicher und politischer Probleme" verloren, erzählt der 47-Jährige. Derzeit arbeitet er als Wachmann in einem Einkaufszentrum der Pariser Banlieue. Mit seiner zwei Jahre alten Tochter und seiner Freundin - heiraten kann er "ohne Papiere" natürlich nicht - lebt er in der Wohnung eines Freundes. Gemeinsam mit einigen hundert seiner Schicksalsgenossen demonstriert Bertin am Chatelet-Platz im Herzen von Paris. Von überall her strömen derzeit die "Sans-Papiers" auf bloße Gerüchte hin zusammen: Die Besetzer der Kirche in Saint-Denis wurden regelrecht überrannt vom Ansturm Tausender, die sich eine Legalisierung ihrer Situation erhofften. Nach zwei Wochen räumten sie das Gotteshaus freiwillig. Seit Jahren setzt sich die Katholische Kirche immer wieder für die "Sans-Papiers" ein.
Gleich neben Bertin wartet eine Familie aus China mit zwei Kleinkindern. Zhaoxing Chen trägt als Ausweisersatz die französische Geburtsurkunde seines Sohnes bei sich, ein anderer die Kopie seines abgelaufenen Reisepasses. Keiner von ihnen spricht Französisch. Auch Moussa Konate hat nach zwölf Jahren in der Illegalität die Hoffnung auf Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis noch nicht aufgegeben. Mit sechs Familienmitgliedern lebt er in der Wohnung eines Onkels, derzeit jobbt der 39-Jährige aus Mali auf dem Bau - schwarz natürlich.
Wie viele es sind, weiß niemand genau. 1997 ließ die neu gewählte Linksregierung Listen auslegen, auf denen sich 143.000 "Sans-Papiers" eintrugen. 80.000 Anträgen wurde statt gegeben. Doch hätten viele sich gar nicht eingetragen und zahlreiche neue "Sans-Papiers" seien seitdem dazugekommen, betont Xavier Thierry vom Institut für Demographische Studien (INED). Fast 40.000 Menschen beantragten 2000 in Frankreich Asyl, nicht einmal jeder fünfte wurde anerkannt.
1993 verschärfte der konservative Innenminister Charles Pasqua die Einwanderungsgesetze, die auch die Linksregierung Jospin in ihren Grundzügen nicht antastete. Die neue Rechtsregierung von Premier Jean-Pierre Raffarin, die sich die Wiederherstellung von Recht und Gesetz auf die Fahnen geschrieben hat, lässt sich von dem Wiederaufflammen der Bewegung offenbar nicht beeindrucken. Man werde jeden Einzelfall prüfen, sagte Innenminister Nicolas Sarkozy immerhin zu.