Sozialisten brach mit Strauss-Kahn das Zugpferd weg. | Aubry, Hollande und Royal in Stellung. | Paris. So hatten die Franzosen ihren Lieblingspolitiker noch nie gesehen: Unrasiert, in Handschellen und mit starrem Blick zeigten Bilder Dominique Strauss-Kahn. In Frankreich herrschte am Tag nach dem politischen Erdbeben jedenfalls große Bestürzung. Die Bilder des abgeführten 62-Jährigen seien von "unerträglicher Grausamkeit", sagte der sozialistische Abgeordnete Manuel Valls. Allerdings sorgten sich die Politiker nicht nur um seinen Ruf, sondern auch um den des Landes.
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"Ein nachweisliches Opfer gibt es bereits, und das ist Frankreich", erklärte Nathalie Kosciusko-Morizet, die Umweltministerin in der konservativen Regierung von Präsident Nicolas Sarkozy. Die Medien sprachen von einem "Keulenschlag"; nur wenige erlaubten sich spitzbübische Wortspiele wie das vom "Festival von Kahn" - in Anspielung auf das zurzeit stattfindende Filmfest im südfranzösischen Cannes. Hatte man sich bisher nur noch gerätselt, wann sich DSK, wie Dominique Strauss-Kahn genannt wird, als sozialistischer Kandidat für die Präsidentschaftswahl in einem Jahr würde, so fragen sie nun, wer das Charisma haben könnte, das Loch zu füllen, das ein Ausfall des Favoriten reißt.
Und dieser Ausfall ist sehr wahrscheinlich, auch wenn sich die schwerwiegenden Vorwürfe nicht bestätigen sollten. Nach dem Zeitplan der Sozialisten müssen sich alle Kandidaten für die parteiinternen Vorwahlen im Herbst bis 13. Juli erklärt haben.
Zwar übt sich die politische Klasse noch in Zurückhaltung. Doch gerade für Sarkozy ist der Ausfall des Rivalen eine Chance, selbst wenn das offiziell keiner sagt. Auf ihrer Internetseite zitiert "Le Monde" jubilierende Sarkozy-Anhänger, die lediglich bemängeln, der Skandal komme zu früh: "Zwei Wochen vor der Wahl hätte das einen Paukenschlag gegeben", heißt es dort. Selbst Sarkozys Kritiker bescheinigen dem Präsidenten, ein begnadeter Wahlkämpfer zu sein - und deshalb auch noch alle Möglichkeiten zu haben, so unwahrscheinlich das beim Blick auf die historisch schlechten Umfragewerte wirkt.
Den Sozialisten fehlt zwar nun ihr aussichtsreichstes Zugpferd, doch endet nun auch der Lähmungszustand, in den Strauss-Kahn die Partei gezwungen hatte: Durch den Skandal macht er nun den Weg frei für Parteichefin Martine Aubry, die sich bislang gemäß ihres "Paktes", nicht gegeneinander anzutreten, zurückgenommen hatte. Vor allem steigen die Chancen für Ex-Generalsekretär François Hollande, der durch eine gemäßigte und doch ehrgeizige Kampagne auf sich aufmerksam macht. Sein Versprechen, ein "normaler Präsident" zu sein, überzeugt angesichts der Ereignisse umso mehr. Und selbst Ségolène Royal, die glücklose Kandidatin 2007, gilt fortan wieder als bedingt aussichtsreich.
Andererseits war Strauss-Kahn der Einzige, der Marine Le Pen, die den rechtsnationalen Front National aus der Scham-Ecke geholt und für viele Franzosen als wählbare Partei etabliert hat, noch etwas entgegensetzen konnte. Diese politische Chance hat er nun verspielt.