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Sascha Dampf in allen Gassen

Von Franz Schandl

Gastkommentare

Die Hofburg-Wahl gerät zur schrägen Auseinandersetzung einer etablierten Allianz gegen eine konformistische Rebellion.


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Vorgezeichnet war da gar nichts. Alexander Van der Bellen ist alles andere als ein grünes Urgestein. Doch gerade deswegen mutierte er schnell vom Experten zum Parteichef. Der notorische Kettenraucher, der vom damaligen grünen Parteichef Peter Pilz 1994 als Quereinsteiger ins Parlament geholt wurde, war aufgrund seiner politischen Unbedarftheit dafür prädestiniert. Seit 1997 führte er die Partei, seit 1999 den Parlamentsklub. Mit ihm ging eine Periode der Unsicherheit und des ständigen Wechsels an der Parteispitze zu Ende. Van der Bellen blieb mehr als zehn Jahre in diesem Amt unangefochten und ist danach ganz freiwillig aus der ersten Reihe abgetreten.

Doch wofür steht Van der Bellen? "Vorerst bleibt als deutlichster Eindruck, dass die Grünen eine ganz normale Partei geworden sind", schrieb Alfred Payrleitner bereits 2001: "Einen Typen wie den bedächtigen Van der Bellen hätten die Grünen vor 16 Jahren einfach weggelacht." Dem wäre so gewesen. Inhaltlich vertrat er jedenfalls nie alternative geschweige denn linke Anliegen. Realo war er immer gewesen ohne es werden zu müssen. Als radikaler Gesellschaftskritiker ist er nie aufgefallen. Das war nicht seine Welt.

Andererseits hat er aber auch nie im Geiste eines Konvertiten agiert. So gesehen ist seine Geschichte eine andere als die Joschka Fischers oder Winfried Kretschmanns. Zweifelsohne trat der emeritierte Professor stets mehr süffisant als penetrant auf. Im Frühjahr 1999 verteidigte er halbstark, halblaut und halblustig den Kriegskurs der deutschen Grünen, meinte aber gleichzeitig, in Österreich brauche man auf die Nato keine Rücksicht zu nehmen, hier "können wir sagen (. . .), ohne Sicherheitsrat ist das völkerrechtswidrig". Und: "Wir schlagen ja die Wahlen in Österreich, nicht in Deutschland", hielt der grüne Parteichef in charmanter Unverfrorenheit fest. "Ich habe übrigens noch nie ein schlechtes Wort über die Nato gesagt", resümierte er schließlich im Nachrichtenmagazin "profil". Viele gute Worte hat er allerdings wiederum auch nicht gesagt. Viele Worte sind überhaupt nicht seine Art, selbst wenn er in den vergangenen Monaten gesprächiger geworden ist.

Ein Bündnis, das man nichtfür möglich gehalten hätte

Aktuell steht Van der Bellen nicht für ein anderes Österreich, sondern für das herkömmliche. Das ist Folge des fulminanten Scheiterns der beiden Bewerber von SPÖ und ÖVP im ersten Präsidentschaftswahlgang im April. Unter der Hand ist Van der Bellen innerhalb kürzester Frist zum Kandidaten des Establishments geworden, das hier (von einigen schwarz-blauen Ausreißern in der ÖVP abgesehen) ein Bündnis präsentiert, das man nicht für möglich gehalten hätte. Gäbe es die Freiheitlichen nicht, wäre Van der Bellen der Einheitskandidat von Regierung und Opposition. Das Unterstützungskomitee ist randvoll mit christkonservativen, liberalen und sozialdemokratischen Exponenten, dazu noch gespickt mit Promis aus Wirtschaft und Kultur. Auch die Spenden fließen recht üppig. Es ist schon eine ganz eigenartige und unheilige Allianz, diese Melange aus österreichisch und entrisch.

Van der Bellens Programm eckt nirgendwo an, man könnte auch sagen, es hat keine Konturen. Tatsächlich erscheinen die Statements kaum akzentuiert, dafür sind sie ausgesprochen harmoniesüchtig, ja zunehmend traditionsfixiert. Nur niemanden verprellen, scheint die Devise zu sein. Strategisch mag das aber durchaus klug sein. Das treibende Moment für ist auch nicht er selbst, sondern sein Gegenkandidat. Es ist schon eine elende Situation, dass das konventionelle Österreich gegen die konformistische Rebellion der Freiheitlichen verteidigt werden muss. Der wirkliche Grund, Van der Bellen zu wählen, heißt Norbert Hofer. Ein guter Grund ist das nicht.

Beurteilte man nur ihre Reklame, könnte man die beiden Kandidaten sogar verwechseln. In Werbung und Auftritt gibt es kaum Differenzen. Hofer grinst mehr, Van der Bellen dafür verschmitzter. "Alles Heimat!" ist das übergreifende und flächendeckende Motto. "Immer wieder Österreich!" - bis zum Erbrechen.

Zwei Kandidatenals besessene Patrioten

Der Wahlkampf ist zwar erst angelaufen, aber diese Vaterlandsliebe wird sich noch kräftig steigern. Sowohl Hofer als auch Van der Bellen hüllen sich in die rot-weiß-rote Flagge und versuchen jeweils als der besessenere Patriot zu gelten. In staatsmännischem Outfit buhlen sie um die Wähler, beiden geht es jetzt vor allem um die Stimmen in der Mitte, die den Ausschlag geben werden. Van der Bellen hat hier das breitere Bündnis anzubieten, Hofer die kompaktere Anhängerschaft zu präsentieren. Sogar dieselben Events besuchen sie, wenn auch nicht gemeinsam.

Das reaktionäre Österreich spricht bereits von einem "Tölpel-Populismus", von den "immer zahlreicheren Visiten von diversen Kirtagen, Trachtenveranstaltungen, Alm-Events, Schützenfesten". Da sei, so wird von Michael Jeannée in der "Kronen Zeitung" gehöhnt, wohl "grüner Schleim statt brauner Dunst" angesagt. So ganz von der Hand zu weisen ist diese Häme nicht, obschon man natürlich einwenden könnte, dieser Kandidat sei auch auf Rave-Partys und Love Parades zugegen, ein Sascha Dampf in allen Gassen.

Ein frappierendes Ergebnis ist aber schon vor dem 4. Dezember zu konstatieren: Dass eine seltsame Allianz aller politischen Kräfte (abgesehen von FPÖ und versprengten Stronach-Resten) nur noch mühsam eine Mehrheit zusammenkratzen kann oder gar an ihr scheitert, demonstriert deutlich, wie schwach das etablierte Österreich inzwischen geworden ist, und dass auch die grünen Hilfstruppen es kaum retten werden - egal ob Van der Bellen gewinnt oder nicht.

Alle Strömungen dieses Akutbündnisses leiden an Atemnot, von neoliberal bis linksradikal. Die diffusen Potenziale der FPÖ hingegen fühlen sich einmal mehr in ihrer Position bestätigt, dass die ganze Welt sich gegen sie verschworen habe. Das betätigt ihre Energie. Jetzt erst recht.