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Satire muss

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Wenn Menschen brutal hingerichtet werden, allein dafür, wie sie leben, für das, was sie glauben, schreiben oder zeichnen, dann ist meist Entsetzen die erste emotionale Reaktion. Dann folgt unweigerlich die Suche nach rationalen Erklärungen, nach Gründen für die Tat. Und von hier ist es nur noch ein kleiner Schritt, wenigstens einen kleinen Teil der Verantwortung den Opfern zuzuschieben.

Natürlich dürfe Satire alles, heißt es dann, aber muss sie denn auch so beleidigen, provozieren, überzeichnen, dass Gefühle anderer verletzt werden, ja werden müssen? Hätten etwa Gläubige, egal welcher Religion, nicht ein Recht darauf, nicht verletzt, nicht provoziert, nicht beleidigt zu werden? Oder, unverblümter formuliert: Spielen diese Provokateure von Beruf oder Berufung nicht ganz bewusst mit dem Feuer?

Die Suche nach Erklärungen, die kritische Hinterfragung eigener Standpunkte sind fast niemals falsch. Beim islamistischen Terrorangriff auf "Charlie Hebdo" kommt man damit aber nicht weiter - und auch bei allen anderen nicht, die zum Ziel haben, andere wegen ihrer Überzeugung zum Schweigen zu bringen. Jeder Versuch einer Relativierung, jede Suche nach rationaler Wenn-dann-Argumentation à la "weil die Amis im Irak einmarschierten" verdeckt den Blick auf die simple Tatsache, dass es hier kein Aufeinanderzugehen geben kann und geben darf.

Natürlich wäre eine Gesellschaft vorstellbar und für etliche sogar wünschenswert, die ansonsten die gleichen bürgerlichen Freiheiten gewährt, wie wir sie kennen, aber in der es Konsens oder Gesetz ist, Religionen von kritischer Auseinandersetzung auszunehmen; sei es um des lieben gesellschaftlichen Friedens willen oder einfach, weil die Überzeugung vorherrscht, dass sich Spott und Kritik gegenüber Religion nicht ziemt. Eine solche Gesellschaft wäre sogar ein enormer Fortschritt gegenüber dem Status quo in unzähligen Ländern. Nur, und das ist der entscheidende Punkt: Für die liberale Demokratie, wie wir sie heute leben, wäre die Immunisierung von Religion vor Kritik, auch vielleicht ungerechter, ein ungeheurer Verlust an Freiheit.

Nur eine säkulare Gesellschaft vermag sicherzustellen, dass diese Freiheit allen zugutekommt, auch - und vielleicht sogar vor allem - den Gläubigen aller Religionen; zumindest solange sie nicht für sich den Anspruch erheben, die Spielregeln des Zusammenlebens zu diktieren.