Es scheint, als würde nun Fantasie tatsächlich Wirklichkeit - nahezu jede Woche fallen Barrieren.
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Vor mehr als einem Jahrzehnt, als "ins Kino zu gehen" in Saudi-Arabien gezwungenermaßen noch bedeutete, sich daheim Videofilme anzuschauen, drehte ich einen 45-minütigen Dokumentarfilm über die lange Fahrt eines jungen Mannes durch die Wüste von Riad bis nach Bahrain, um zum ersten Mal einen Film auf einer richtigen Kinoleinwand zu sehen.
Heute - auf dem Weg zum ersten nationalen Pavillon Saudi-Arabiens bei den Filmfestspielen in Cannes - schreibe ich mit einer bittersüßen Mischung aus Nostalgie und Freude einen neuen, aktualisierten Epilog zur Geschichte von Tariq und der meines Volkes, der Saudis, und ihrer komplizierten Beziehung zum Kino.
Wie bereits bekannt, wurde in Saudi-Arabien im April das erste Kino in fast vier Jahrzehnten eröffnet - in einem brandneuen Multiplex-Theater, im Herzen von Riad. Derzeit gibt es in der saudischen Hauptstadt zwei Kinos, doch bis zum Jahr 2030 werden es rund 350 Kinos sein, mit 2500 Kinosälen im ganzen Land.
Die ausverkauften Eröffnungsvorstellungen sind eines der ersten sichtbaren Zeichen der Reformbewegung "Vision 2030" des Königreichs - einer ambitionierten Reihe von kulturellen, wirtschaftlichen und geopolitischen Modernisierungen, die Saudi-Arabien zu einer zukunftsorientierten und fortschrittlichen Kraft in der Region und der Welt machen sollen.
Als saudischer Filmemacher erscheint es mir in einem gewissen Sinn überaus passend, dass die Geschichte der kulturellen Renaissance Saudi-Arabiens mit der Eröffnung eines Kinos beginnt. Denn Kino, das ist das Tor zum Land der Träume, der Fantasie und Hoffnungen und der Happy Ends. In einem nationalen und kulturellen Sinn geschieht genau das im heutigen Saudi-Arabien: Ein Land wird endlich dazu ermutigt, die kreative Energie seiner jungen Bevölkerung zu nutzen - einer Bevölkerung, in der fast zwei Drittel der Menschen jünger als 30 Jahre alt sind.
Es weht der Wind freudiger Erwartungen und Hoffnungen
Ich selbst gehöre zur älteren Generation von Saudis, denen der Zutritt zu Kinos verwehrt war und die gezwungen waren, nationale Grenzen zu überqueren, um in einem von Popcornduft erfüllten Kinosaal erleben zu dürfen, wie die Lichter erlöschen und ein Film sie in eine andere Welt führt. Und dennoch konnte mich nichts davon abhalten, Stammgast in meiner lokalen Videothek zu werden und schließlich selbst als Regisseur und Produzent Filme zu drehen.
Aber es scheint, als würde im heutigen Saudi-Arabien Fantasie tatsächlich Wirklichkeit - nahezu jede Woche fallen Barrieren: Jüngste Regierungsreformen haben Teile der Wirtschaft für Frauen geöffnet, die nun sogar bei Polizei und Zoll tätig sein können und ab Juni zum ersten Mal Autofahren dürfen. In Saudi-Arabien weht der Wind freudiger Erwartung und Hoffnung, und die Menschen bauen darauf, dass immer mehr Schranken fallen werden - und zwar früher, als viele Skeptiker wahrscheinlich vermuten.
Als saudischer Regisseur bin ich davon überzeugt, dass die Menschen in meiner Heimat mit ihrer Perspektive dem (Kino-)Geschichtenerzählen eine neue Facette schenken können und werden: Arabische Erzählungen und Themen warten nur darauf, von jungen, progressiven Talenten erzählt zu werden. Deshalb stützt sich mein neuester Film "Joud" auf eine experimentelle Erzählstruktur, die von der Qasida, einer vorislamischen Form der Poesie, abgeleitet ist und den Film zu einer Art traditionellem Gedicht für die moderne Zeit werden lässt.
Positive Auswirkungen auf das Leben in Saudi-Arabien
Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, wohin die zahlreichen Reformen mein Land tragen werden - doch ich bin von den positiven Auswirkungen auf das Leben und die Menschen in Saudi-Arabien überzeugt. Meine beiden Töchter und Söhne werden mit dem Wissen aufwachsen, dass ein Kinobesuch nur eine kurze Autofahrt oder einen kleinen Spaziergang weit entfernt ist, 500 Meter vielleicht - statt eines Tests für Willenskraft und Ausdauer.
Das gilt auch für meinen alten Freund Tariq, den Hauptdarsteller meines Films "Cinema 500 km". Der Film endet damit, dass Tariq im Auto aufwacht und den Fahrer fragt: "Sind wir schon da?" Tariq ist mittlerweile 34 Jahre alt, führt eine Kreativagentur in Riad, und seine Reisen nach Bahrain sind nicht mehr länger ein Test seiner Männlichkeit oder ein stiller Protest.
Das nächste Mal, wenn er und seine Frau nach Bahrain reisen, wird es darum gehen, Geschäftsbeziehungen mit neuen Kunden zu besiegeln, und nicht darum, einen Film im Kino zu sehen. Und wenn er mich wie immer auf seinem Weg nach Bahrain besucht, werde ich ihm wieder Folgendes sagen: "Nein, wir sind noch nicht da, mein lieber Freund. Wir haben gerade angefangen."