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Säulen nach Athen tragen

Von Hans Pechar

Wissen

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Die Universitäten - so will es das Regierungsprogramm - werden in die Autonomie der Vollrechtsfähigkeit entlassen. Und zwar ruck, zuck und nächstes Jahr. Aber kurz vor seiner Selbstdemontage hat sich der österreichische Reformjosephinismus noch ein beeindruckendes Denkmal seiner Ohnmacht gesetzt. Wahrscheinlich eine List der Vernunft, um künftige Generationen daran zu erinnern, dass sie dem Rückzug des Staates aus den Universitäten keine Träne nachzuweinen brauchen. Was soll ein neues staatliches Dienstrecht, wenn das akademische Personal demnächst einen neuen "Dienstherrn" bekommt, wenn die Personalhoheit vom Staat auf die Universitäten übergeht? Darauf gibt es von staatlicher Seite zwei Antworten. Erstens: es gelte zu verhindern, dass die Universitäten in letzter Sekunde mit wartenden Nachwuchswissenschaftern "zupragmatisiert" werden. Zweitens solle das neue Dienstrecht eine Vorbildfunktion für die künftigen privatrechtlichen Dienstverhältnisse an Universitäten ausüben.

Ohne zu prüfen, ob das erste Ziel sinnvoll gewesen wäre, kann man sagen: es wurde gründlich verfehlt. Das Ministerium mußte zähneknirschend eingestehen, dass eine Verweigerung der Definitivstellung für die im Habilitationsstadium befindlichen Hochschullehrer einer Klage vor den Höchstgerichten nicht standgehalten hätte. Hätten sich die Beamten von vorneherein auf ihre Kernkompetenz, die Prüfung der Rechtsgrundlagen, konzentriert, hätten sie sich viel peinlichen Lärm um Nichts erspart.

Was aber soll man von der fürsorglichen Geste halten, den Universitäten gute Ratschläge auf ihren Weg in die Unabhängigkeit mitzugeben? Man munkelt, das amerikanische Hochschulsystem sei dem neuen Dienstrecht Pate gestanden. Leider hat man sich auf die Rezeption von Mythen über die hire and fire Praktiken an amerikanischen Universitäten beschränkt, die neoliberalen Maniacs als Voraussetzung für Effizienz gelten. Der Geist der Befristung beseelt dieses Gesetz. Jahrhundertelang lebten wir im Zustand der Erstarrung. Nun wird alles quicklebendig und ändert sich von Tag zu Tag. Zumindest im zeitlichen Rhythmus jener fabulösen Säulen, auf die sich die Architektur akademischer Karrieren künftig gründen soll.

Da der Zeitgeist nur die Sprache der Ökonomie versteht, hilft es vielleicht, ihm die economics of tenure zu erläutern, die den Managern amerikanischer Forschungsuniversitäten gut geläufig ist. Das wissenschaftliche Personal an Forschungsuniversitäten durchläuft nicht nur eine sehr lange (und entsprechend teure) sondern zugleich extrem spezialisierte Ausbildung, was seine Mobilität am Arbeitsmarkt erheblich einschränkt. Diese Kombination an Faktoren findet sich bei kaum einer anderen Berufsgruppe. Ab einer gewissen Qualifikation kann man das erworbene Humankapital adäquat nur noch an Universitäten oder vergleichbaren Forschungseinrichtungen einsetzen. Um das damit verbundene Risiko zu reduzieren, bietet daher auch ein so marktorientiertes Hochschulsystem wie das amerikanische seinem wissenschaftlichen Personal einen besonderen Kündigungsschutz an, die tenure. Unter ökonomischen Gesichtspunkten kann man sie als Voraussetzung dafür definieren, dass es in ausreichendem Maß zur Bildung dieser sehr speziellen Form von Humankapital kommt. Dieser tenure track ist in den USA keine vereinzelt herumstehende Säule, er ist die Basis des gesamten Systems, die ihm Stabilität verleiht, ohne seine Vitalität zu beeinträchtigen.

Natürlich gibt es an amerikanischen Universitäten eine große Zahl ungesicherter Karrieren. Aber die leicht disponiblen Forschungsteams, von denen die Professoren auch bei uns träumen, bestehen durchwegs aus jungen Leuten: aus Doktoratsstudenten, die noch gar kein Dienstverhältnis haben und recht und schlecht von Stipendien leben; aus post-docs mit befristeten Stellen, die um die dreißig sind. Reguläre akademische Karrieren sind attraktiv, es liegt in der Natur der Sache, dass es mehr Bewerber als Positionen gibt. Wer in den tenure track will, ist erfolgshungrig und einsatzbereit. Hier herrscht ein großes Gedränge, viele bleiben auf der Strecke. In diese "Säule" mehr Beweglichkeit und Wettbewerb einzubauen, hätte auch unserem System nicht geschadet. Es ist schließlich keine Katastrophe, wenn man mit Anfang oder Mitte dreißig das Signal bekommt, dass man im akademischen System keine Chance hat. Eine Zeit lang als post-doc gearbeitet zu haben, ist in aller Regel kein Nachteil für außerakademische Karrieren. Aber wer im tenure track Aufnahme findet, dessen Karriere endet an amerikanischen Universitäten in keiner vorprogrammierten Sackgasse. Auch wenn der Bewährungsdruck groß ist: mehr als 90 Prozent erreichen eine unbefristete Anstellung und werden letztlich full professor.

In Österreich aber gibt es getrennte "Kurien" für Professoren und den akademischen Nachwuchs. Auf einen Professor kommen ca. 3,5 Nachwuchswissenschafter; das vermittelt einen Eindruck von der Wahrscheinlichkeit, in die ranghöchste Position aufzurücken. An all dem hat das neue Dienstrecht nichts geändert, seine Innovation besteht darin, die Nachwuchspfade nun strikt zu befristen. Es gibt also die breiten Säulen für den Mittelbau, die im Nirgendwo enden, und es gibt die schmalen professoralen Säulen, die hoch hinauf führen. Das ergibt keine tragfähige Architektur, sondern erinnert eher an eine akademische Ruinenlandschaft. Was tut man Mitte vierzig, wenn die breite Säule endet und in der schmalen keine Position frei ist? Oder Mitte fünfzig, wenn eine befristete Professur endet? Gut, man wird nicht verhungern, aber - unter Ausblendung aller humanitären Aspekte, die nicht ins Weltbild des Nulldefizits passen - war es eine sinnvolle gesellschaftliche Investition ins Humankapital dieser Menschen?

Man muß darauf hoffen, dass die Universitäten, wenn sie einmal selbst über den Verlauf akademischer Karrieren bestimmen, mehr Sachverstand an den Tag legen als der Staat; dass sie dem letzten Aufbäumen des josephinischen Zeigefingers die kalte Schulter weisen und sich kein Vorbild an diesem mißlungenen Gesetz nehmen.

Dr. Hans Pechar ist Assistent am Institut für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung der Universitäten Klagenfurt, Wien, Innsbruck und Graz