Zum Hauptinhalt springen

Schäden um 960 Millionen Euro

Von Carsten Wieland

Politik

Tel Aviv - Nach dem blutigen Gefecht beginnt in Israel nun die Zeit der unbequemen Wahrheiten. Nicht nur der palästinensische Präsident Yasser Arafat lief nach seiner Freilassung geschockt durch die Straßen des verwüsteten Ramallah. Auch Israelis fragen inzwischen, ob all die Zerstörungen in den Palästinenserstädten wirklich notwendig waren. Die Schäden liegen nach palästinensischen Angaben in der Höhe von 875 Millionen Dollar (rund 960 Millionen Euro).


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 22 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Manches, was die israelische Armee bisher trotz Anfragen verschwieg oder viele Israelis abwehrend als Gerüchte abgetan hatten, hat sich erhärtet. Dazu zählen Plünderungen durch Soldaten und Vandalismus.

Während die Regierung versucht habe, Schaden durch die UNO-Kommission zur Untersuchung der Kämpfe in Jenin abzuwenden, hätten einige Soldaten selbst Schande auf sich geladen - und auf die gesamte Truppe, schreibt die liberale israelische Zeitung "Haaretz". Die Armee habe inzwischen bestätigen müssen, dass privates Eigentum willkürlich "außerhalb der Kämpfe" verwüstet wurde. Dies seien keine Einzelfälle. Offiziere gaben unter anderem zu, es habe keinen Grund zur Zerstörung ganzer Computersysteme gegeben. Damit sei Wissen und die Grundlage einer Zivilgesellschaft vernichtet worden.

Nach Schätzungen des palästinensischen Wirtschaftsrates für Entwicklung und Wiederaufbau (PECDR) beläuft sich der unmittelbare Schaden durch die israelische "Operation Schutzschild" auf etwa 375 Millionen Dollar (413 Millionen Euro). Die wirtschaftlichen Schäden - wie völlige Lähmung des Handels, Vernichtung von Arbeitsplätzen und Steuerausfall-- betrügen zusätzlich etwa 500 Millionen Dollar.

Viele zerstörte Einrichtungen waren mit Hilfe der Europäischen Union oder internationaler Organisationen errichtet worden.

In Ramallah verwüsteten Soldaten die Einrichtung mehrerer Ministerien, Banken und privater Einrichtungen. "Im Hochschulministerien türmten sie die Computer aufeinander und sprengten sie in die Luft", sagt PECDR-Chef Mohammed Shtayi. Alleine in Ramallah hätten Panzer 161 private Autos am Straßenrand zermalmt. Die Banken hätten nach der Vernichtung von Festplatten und Akten Probleme, die Kontostände der Kunden zu rekonstruieren. "Ich hoffe, dass wenigstens die Ministerien Kopien ihrer Computerdateien im Gaza-Streifen haben", sagt der PECRD-Leiter. Betroffen sei auch die öffentliche Sicherheit: "Die Israelis haben die Infrastruktur der palästinensischen Sicherheitskräfte zerstört und verlangen, dass sie hundertprozentig funktionieren."

Auch die Stadt Nablus im nördlichen Westjordanland veröffentlichte eine vorläufige Schadensliste. Danach wurden bis zu 80 Prozent des Stromnetzes zerstört, 70 Prozent der Wasser- und Abwasserleitungen, 60 Prozent der Straßen und etwa 500 private Geschäfte.

"Es ist Krieg. Und im Krieg gibt es Schaden", antwortet der israelische Armeesprecher Ron Edelheid auf die Kritik. Die Soldaten hätten jedoch strenge Anweisung, das Leben und Eigentum von Menschen zu achten. "Wir sind die moralischste Armee der Welt", betont er. Allerdings sei die israelische Armee auch ein Spiegel der Gesellschaft, da praktisch jeder Dienst leisten müsse. "Du kannst im Schützengraben den Bankdirektor neben dem Tischputzer eines Restaurants finden, und vielleicht ist der Tischputzer sogar der Vorgesetzte." Neben den regulären Kräften seien 30.000 Reservisten eingesetzt worden. "Das ist eine große Operation". Für Plünderungen gebe es dennoch keine Rechtfertigung. Militärtribunale seien eingerichtet worden, und Palästinenser könnten sich direkt bei der Armee beschweren.