Führt privilegierte Haftungsgrenze von Wirtschaftsprüfern zur Verjährung?
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Wiener Neustadt. Über die Entschädigung der 12.500 AvW-Anleger müssen die Höchstgerichte entscheiden. Nachdem zwei Schadenersatzklagen der AvW-Masseverwalter gegen den Ex-AvW-Wirtschaftsprüfer Ehrenböck Moore Stephens vom Landesgericht Wiener Neustadt wegen angeblicher Unschlüssigkeit abgewiesen wurden, muss sich das Berufungsgericht, das Oberlandesgericht Wien, damit herumschlagen.
Doch die Wiener Oberrichter werden in Kürze weitere Berufungs-Post vom Landesgericht Wiener Neustadt erhalten. Denn Richter Martin Kargl hat seine mündliche Ankündigung wahr gemacht, und im Musterverfahren (Aktenzahl 21 Cg 14/11v) die Schadenersatzansprüche der Anlegern gegen Ehrenböck abgewiesen. Begründung: Die Ansprüche gegen den Wirtschaftsprüfer seien verjährt.
"Wir werden gegen die Abweisung Berufung einlegen", sagt Anlegeranwalt Michael Bauer, der gemeinsam mit Erich Holzinger das Gros der AvW-Opfer vertritt. Auch andere Anlegeranwälte haben im Vorfeld Berufungen angekündigt.
Insgesamt geht es in diesem eigenwillig zusammengewürfelten Massenverfahren um Schadenersatzforderungen von 933 AvW-Geschädigten, die vor 2006 AvW-Wertpapiere gekauft haben.
Die schweren Vorwürfe
Die Anleger werfen dem Ex-AvW-Wirtschaftsprüfer vor, seine Prüfpflichten grob fahrlässig verletzt zu haben. "Es sei geradezu undenkbar, dass Ehrenböck die Machenschaften von Wolfgang Auer-Welsbach nicht bemerkt habe", zitiert Richter Kargl in seinem Urteil die Vorwürfe. "Bei gewissenhafter und pflichtgemäßer Durchführung der auferlegten Aufgaben hätte der Wirtschaftsprüfer bereits im Jahr 2000, aber mit Sicherheit in den Folgejahren bemerken müssen, dass die Buchhaltungsunterlagen und Bilanzen der AvW unrichtig und dubios gewesen seien, die ausgegebenen Genussscheine das tatsächliche Vermögen der AvW um ein Vielfaches übersteigen, und es sich bei AvW um ein klassisches Schneeballsystem gehandelt habe."
Der Schaden sei demnach erst mit dem AvW-Zusammenbruch im Oktober 2008 bzw. mit dem AvW-Konkurs im Mai 2010 für die Anleger zu erkennen gewesen, argumentieren deren Anwälte. Mit Eintritt des Schadens beginne - im Sinne der Schutzrechte - die Verjährungsfrist von drei Jahren bzw. von 30 Jahren bei Arglist nach dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch zu laufen. Ehrenböck bestreitet alle Vorwürfe.
Das umstrittene Urteil
Richter Kargl sieht den Fall anders. "Der Primärschaden der Kläger im Sinne einer negativen Vermögensverschiebung entstand bereits beim Ankauf der jeweiligen Genussscheine", heißt es im Urteil. Wie schon Ehrenböcks Anwalt Gustav Etzl stützt auch der Richter seine Rechtsansicht auf Paragraf 275 Unternehmensgesetzbuch (UGB) - "Verantwortlichkeit des Abschlussprüfers". Darin wird die Verjährung für Wirtschaftsprüfer "ganz erheblich" von der 30-Jahres-Frist auf fünf Jahre verkürzt. "Und lässt die Verjährung auch dann eintreten, wenn der Geschädigte in diesem Zeitraum keine Kenntnis von Schaden und Schädiger erlangt hatte", zitiert Richter Kargl aus einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofes. "Es bleibt die von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung bis dato nicht geklärte Frage, ob Paragraf 275 auch auf die Ansprüche Dritter (Anleger) anzuwenden sei." Denn dieser Paragraf sei ein Schutzgesetz für die Gesellschaft (AvW). "Selbst bei Annahme eines rechtswidrigen Verhaltens des Wirtschaftsprüfers im Rahmen jeder Abschlussprüfung wäre der (Primär-)Schaden nur einmal, beim erstmaligen Ankauf, eingetreten", argumentiert Kargl. "Die Erteilung des Bestätigungsvermerks prolongierte lediglich die Nichterkennbarkeit von Schaden und Schädiger." Doch das sei für die Verjährung nach dem Unternehmensgesetzbuch irrelevant. Somit seien die Ansprüche laut Kargl wegen der Fünf-Jahresfrist verjährt.