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Schädigung im Mutterleib

Von WZ-Korrespondent André Anwar

Wissen

In Schweden führen alarmierende Studien zu landesweitem Aktionsplan.


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Stockholm. Wie die Mutter, so der Sohn. Oder kann man das verhindern? Schwedens Forscher alarmieren: Angstzustände, Depression, Ausgebranntheit, aber auch einfach nur zu viel Stress bei der Arbeit kann eine Kinderseele im Mutterleib deutlich mehr beeinflussen als bisher angenommen. Dies ergeben mehrere schwedische Studien. Aufgrund dessen will die schwedische Regierung nun einen landesweiten Aktionsplan ausarbeiten, meldete die konservative, landesweite Tageszeitung "Svenska Dagbladet".

Kinder, die von gestressten Müttern geboren werden, sollen laut Studien des Universitätsklinikums Linköping selbst im späteren Leben deutlich häufiger an Konzentrationsstörungen leiden. Ihnen fällt das Lernen schwerer, sie haben öfter Depressionen und Angstzustände. Zudem steigt auch das Erkrankungsrisiko für andere psychische Störungen, fasst Caroline Lilliecreutz, Oberärztin und Forscherin im Bereich Schwangerenpflege, die bisherigen Erkenntnisse zusammen.

Stress stört die Balance des Immunsystems

In einer Teilstudie hat ihr Team festgestellt, dass von den Müttern im Voraus geplante Kaiserschnitte immer häufiger vorkommen. Sie hätten mehr Angst vor dem Schmerz, der bei psychisch instabilen Frauen häufig stärker empfunden werde. Auch am Karolinska Institut (KI), welches für die Vergabe der Medizinnobelpreise zuständig ist, forscht man derzeit in die gleiche Richtung. Gestresste Mütter gebären viel häufiger zu früh, und den Neugeborenen gehe es oft deutlich schlechter als dem Durchschnitt, sagt Emma Fransson, KI-Doktorantin, über einen Teil ihrer Forschungsergebnisse. "Wir gehen von der Annahme aus, dass chronischer Stress bei Schwangeren deren Immunsystembalance stört. Denn die körpereigene Abwehr der Schwangeren soll im Idealfall nicht völlig lahmgelegt sein, aber den Fötus auch nicht abstoßen", erklärt sie.

Symptome halten bis ins höhere Jugendalter an

All das, so die schwedischen Forscher, führt zu Neugeborenen mit strapazierter Seele. Es sei zwar eine Binsenweisheit, dass es nicht gut für das Kind ist, wenn die Mutter gestresst ist, räumt Lilliecreutz ein. "Neu ist aber, wie empfindlich die Föten auf Stress zu reagieren scheinen. Die Studienergebnisse legen nahe, dass es schon ausreicht, dass die Frauen während der Schwangerschaft regelmäßig wiederkehrenden Alltagsstress erleben. Demnach reichen wirtschaftliche Schwierigkeiten oder Beziehungsprobleme schon aus, um den Fötus negativ zu beeinflussen", so die Oberärztin zu "Svenska Dagbladet".

Die Symptome bei den belasteten Kindern können bis ins höhere Jugendalter oder länger anhalten, wenn die psychischen Probleme der Mutter nicht schon in einer möglichst frühen Phase der Schwangerschaft fachmännisch behandelt werden. "Wir versuchen nun, größeres Bewusstsein für die Wichtigkeit des seelischen Wohlbefindens der Mutter zu schaffen. Sonst hat das negative Auswirkungen auf das Kind", betont auch Ann Josefsson, Oberärztin und Dozentin des Universitätsklinikums Linköping.

Bei dem Aktionsplan der Regierung gegen psychische Störungen bei schwangeren Schwedinnen soll vor allem auf Erfahrungen bei einem Pilotprojekt aus Linköping zurückgegriffen werden. In der mittelschwedischen Region Östergotland wird bereits versucht, künftige Kindergenerationen glücklicher zu machen als deren Eltern. Alle Frauen werden dort im frühen Schwangerschaftsstadium ärztlich auf Depressionen und übersteigerte Angst abgeklopft. Gegebenenfalls folgt die schwangerschaftsbegleitende Behandlung mit kognitiver Verhaltenstherapie und eventuell mit stimmungsaufhellenden Medikamenten.

"Es ist schwer, einer werdenden Mutter direkt ins Gesicht zu sagen: ,Wenn es dir seelisch schlecht geht, wird es auch deinem Kind schlecht gehen.‘ Man muss das auf nuancierte Weise vermitteln, sodass die Schwangere durch die Erkenntnis, dass ihr Stress dem Kind schadet, nicht noch mehr gestresst wird", erklärt Lilliecreutz die Schwierigkeit bei dieser Arbeit.