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Schafft Dialog Frieden in Nahost?

Von Alexander Dworzak und Gerhard Lechner

Politik

Für EU und USA ist die Hamas eine Terrororganisation. Doch auch die Fatah negierte einst das Existenzrecht Israels - und schloss später Frieden. Allerdings fehlte ihr der religiös grundierte Hass auf Juden und deren Staat, den die Hamas pflegt.


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Ist die Waffenruhe in Nahost, die von Ägypten vermittelt wurde, von Dauer? Zweifel sind angebracht. Zwar schwiegen nach elf Tagen Kampf am Freitag seit dem frühen Morgen die Waffen. Beide Seiten hielten sich an die vereinbarte Einstellung der Kampfhandlungen. Doch auf dem Tempelberg in Jerusalem kam es nach dem islamischen Freitagsgebet dann doch zu Zusammenstößen zwischen Palästinensern und der israelischen Polizei. Wirkliche Ruhe ist noch keine eingekehrt.

Das wurde auch in der Wortwahl von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu deutlich, der im Umgang mit der islamistischen Hamas, die den Gazastreifen regiert, auf militärische Stärke setzt. Führende Mitglieder von Hamas und Islamischer Dschihad seien getötet worden. "Wer nicht getötet wurde, weiß, dass unser langer Arm ihn überall erreichen kann - über und unter der Erde." Das weitverzweigte Tunnelsystem unter dem Gazastreifen, das die Hamas mit ihr zur Verfügung gestellten Geldern aufbaute, sei zur "Todesfalle für Terroristen" geworden.

Doch auch im Gazastreifen wurde das Ende der Kämpfe gegen einen militärisch überlegenen Gegner als Erfolg gewertet. Die Menschen feierten auf den Straßen, Moschee-Lautsprecher verkündeten den "Sieg des Widerstandes".

Selbstmordattentate seit den 1990ern

Es ist bereits der vierte Waffengang zwischen Israel und dem Hamas-dominierten Gazastreifen seit Ende 2008. Trotz des ungleichen Kräfteverhältnisses ist es der Palästinenserorganisation stets gelungen, ihr Waffenarsenal neu aufzubauen und sogar zu verbessern. Seit ihrem Wahlsieg 2006 regieren die kompromisslosen Islamisten den Gazastreifen, 2007 übernahmen sie nach Kämpfen mit der konkurrierenden säkular-nationalen Fatah-Bewegung, der ehemaligen politischen Heimat von Ex-PLO-Chef Jassir Arafat, die Kontrolle über das Gebiet vollständig.

Gegründet wurde die Hamas 1987 unter anderem von Scheich Achmad Jassin, der 2004 einer gezielten Tötung durch das israelische Militär zum Opfer fiel. Ihr militärischer Arm verübt seit 1993 Selbstmordattentate und andere Angriffe, die überwiegend gegen israelische Zivilisten und Soldaten gerichtet sind.

Die Wurzeln der Hamas reichen jedoch wesentlich weiter zurück - in die unmittelbare Nachkriegszeit. 1946 gründete die ägyptische Muslimbruderschaft einen palästinensischen Zweig in Ost-Jerusalem. Nach der Niederlage gegen Israel im Sechstagekrieg 1967 verlor der als westlich verschriene Nationalismus im arabischen Rum an Bindekraft, islamistische Strömungen gewannen an Boden. Auch dass Israel den Gazastreifen besetzt hielt, machte dort eine Reorganisation der politischen Verhältnisse nötig. Die Muslimbruderschaft arbeitete erfolgreich an der Islamisierung der Palästinenser im Gazastreifen und in den Flüchtlingslagern, baute Moscheen und Koranschulen und war auch sozialpolitisch hoch aktiv: Man vermittelte Kontakte zwischen armen und reichen Palästinensern, finanzierte Hausreparaturen, half ehrenamtlich bei der Straßenreinigung, vermittelte Stipendien für ein Studium der Scharia in Saudi-Arabien, gründete Sportvereine und Sommerlager, unterhielt Arztpraxen, Bibliotheken und Kindergärten. Und man half bei Streitigkeiten als schlichtende Instanz.

Verhandlungen für Hamas "Zeitverschwendung"

Ideologisch blieb man dabei streng islamistisch und auch und vor allem antijüdisch geprägt - obwohl es Berichte gab, laut denen israelische Behörden die Hamas-Vorläuferorganisation Al-Mudschama in den 1980er Jahren als Gegengewicht zur Fatah Arafats gefördert haben sollen. Die antijüdische Prägung der Islamisten kommt auch in der Gründungscharta der Hamas von 1988 zum Ausdruck, die bis heute gilt. Israel wird darin als "zionistisches Gebilde" bezeichnet, dessen "islamisches Heimatland" man niemals Nicht-Muslimen überlassen dürfe. Schließlich sei das Gebiet bis zum Tag des Jüngsten Gerichts von Gott den Muslimen anvertraut worden. Also sei es religiöse Pflicht eines jeden Muslims, für die Eroberung Israels zu kämpfen. Verhandlungen seien "Zeitverschwendung" und "nichts anderes als ein Mittel, um Ungläubige als Schlichter in den islamischen Ländern zu bestimmen". Es gebe nur eine Lösung: den Dschihad. Unterstrichen wird dieses kriegerische Programm dadurch, dass sich die Hamas in ihrer Charta auf die antisemitische Verschwörungstheorie der Protokolle der Weisen von Zion bezieht - und das Töten von Juden zur unbedingten Pflicht eines jeden Muslims erklärt, zu einer Voraussetzung für das Kommen des Jüngsten Gerichts. Das Programm gilt bis auf den heutigen Tag - wenn auch manche Beobachter zweifeln, wie ernst die Hamas ihre Charta noch nimmt. Vielen ihrer Vertreter ist ihr Inhalt nicht im Detail bekannt.

Aufgrund ihrer Ideologie und Gewaltbereitschaft ist die Hamas im Westen ein Paria, firmiert sowohl in der EU als auch in den USA als Terrororganisation. Umso wichtiger war daher die Vermittlerrolle Ägyptens für einen Waffenstillstand - neben dem Druck von US-Präsident Joe Biden auf Benjamin Netanjahu. Israels Premier kündigte nach der Waffenruhe auch sogleich "neue Spielregeln" gegenüber der Hamas an. Auf jeden Angriff mit Raketen, Brand- oder Sprengballons werde man sofort in aller Härte reagieren.

Doch Härte allein genügt nicht, um im Nahost-Konflikt entscheidende Schritte in Richtung Frieden zu machen. Diese Erfahrung musste der Westen auch mit der zweiten großen palästinensischen Gruppierung machen, der Fatah. Gegründet unter anderem von Jassir Arafat im Jahr 1959, verschrieb auch sie sich dem bewaffneten Kampf. Erst in den 1990ern erkannten sich die PLO - das Dach der palästinensischen Gruppierungen, unter denen die Fatah dominiert - und Israel gegenseitig an. Es war die Voraussetzung für den Osloer Friedensprozess.

Keine Parlamentswahl seit mehr als 15 Jahren

Wie schwierig es historischen Erzfeinden fiel, über ihren Schatten zu springen, zeigte das ikonische Bild von Arafat und dem damaligen israelischen Premier Jitzchak Rabin 1993, flankiert von US-Präsident Bill Clinton. Während Clinton seine Arme um die beiden spannte, musste sich Rabin förmlich zum Handschlag mit Arafat überwinden.

Rabin bezahlte für die Friedensbemühungen mit seinem Leben. Er wurde 1995 von einem jüdisch-religiösen Fanatiker ermordet, dem der Frieden mit den Palästinensern als Verrat galt. Die religiöse Komponente macht den Dialog mit der Hamas so viel schwieriger als mit der Fatah: Denn die Fatah um Arafat wusste natürlich um die symbolische Bedeutung, etwa des Tempelberges und der Al-Aksa-Moschee in Jerusalem als drittheiligste Stätte der Muslime. Aber sie bauten ihr Weltbild nicht auf der Religion auf, sondern waren Kinder des nationalistischen Pan-Arabismus. Dessen Vordenker war Ägyptens Präsident Gamal Abdel Nasser, auf seine Initiative wurde die PLO 1964 gegründet.

Die Hamas trat der PLO nie bei. Deren Abstieg gründet sich auch auf endemische Korruption und Klientelismus, die Probleme konnten nach dem Tod Arafats 2004 unter dem uncharismatischen Mahmoud Abbas nicht mehr kaschiert werden. Auch deshalb verlor die Fatah die Wahl 2006 krachend gegen Hamas. Zuletzt stritten Fatah und Hamas, als Abbas im April die Verschiebung der Parlamentswahl ankündigte. Er pochte auf die israelische Zustimmung zur Wahlmöglichkeit für Bürger Ost-Jerusalems. Die Hamas sah diese Zustimmung als nicht notwendig an. Die erste Wahl in den Palästinensergebieten seit mehr als 15 Jahren wurde damit auf Eis gelegt. Auch an dieser Front wartet also viel Arbeit auf die internationalen Vermittler.