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Schafft sich die EU bald selber ab?

Von Stefan Haderer

Gastkommentare
Stefan Haderer ist Kulturanthropologe und Politikwissenschafter.
© privat

Von der Idee der "Friedensmacht" haben sich europäische Regierungen längst verabschiedet.


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Endlos ist die Zahl der Flüchtlinge, die täglich in die Europäische Union drängen. Endlos ist auch die Ratlosigkeit in Brüssel, denn nach Monaten liegt kein Fahrplan vor, der den Strom zum Abreißen bringen würde. Inzwischen wurde die Parole "Flüchtlinge willkommen" durch ein "So kann es nicht weitergehen!" ersetzt - zumindest in Regierungskreisen. Die Terroranschläge in Paris zeigen außerdem das gravierende Sicherheitsrisiko auf, das die unkontrollierte Einwanderung in die EU mit sich bringt.

Bei Krisengipfeln tun Politiker vor allem eines - Schuld zuweisen, Verantwortung abschieben und sich mit Feststellungen begnügen. Die österreichische Bundesregierung brilliert hier besonders. Vor einem Dialog mit Syriens Bashar-al Assad und Russlands Wladimir Putin scheuen sich EU-Diplomaten, während die Passivität der USA
und der Golfemirate geduldet wird, denn diesen scheint der soziale Frieden in Europa so ziemlich egal zu sein.

Immer deutlicher klingt seit einigen Wochen zwischen den Zeilen hochrangiger Diplomaten eine leise Warnung durch: Die Lage am Balkan könnte in absehbarer Zeit eskalieren. Die meisten Flüchtlinge werden dort abgesetzt und per Schlepper durchgewinkt. In den Ländern des ehemaligen Jugoslawien, denen es selbst an ausreichend Infrastruktur für die eigene Bevölkerung mangelt, will keiner bleiben.

Würde man von diesen Staaten, denen man nichtsdestotrotz eine EU-Mitgliedschaft in Aussicht stellt, eine Aufnahme von Flüchtlingen einfordern, so würde der reibungslose Ablauf des Durchlassens an den Grenzen ein abruptes Ende nehmen. Dann wäre Österreich, das seine Asylpolitik nach den Launen Angela Merkels orientiert, direkt von der Katastrophe eines Bürgerkriegs betroffen. Ein Schreckensszenario, das sich keiner ausmalen will, das angesichts der unvernünftigen EU-Außenpolitik aber durchaus eintreten kann.

Schafft sich die Europäische Union, die den Krisen der letzten fünf Jahre nicht mehr gewachsen ist, also bald selbst ab? Mehrere Gründe sprechen dafür, sofern nicht ein außenpolitischer Kurswechsel passiert. Erstens hing Brüssel Jahrzehnte lang der Illusion einer gesicherten Festung Europa nach. Auf die Idee, dass eine Destabilisierung der Nachbarschaft - etwa durch den Arabischen Frühling - diesen inneren Frieden mit vermehrten Terrorattentaten bedrohen könnte, kam man nicht. Die Säule einer gemeinsamen Sicherheitspolitik wurde verworfen. Stattdessen leistete man in fast allen Punkten den USA Folge.

Zweitens verliert das Konzept der EU immer mehr an Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung. Dazu beigetragen haben die Finanzkrise, das Säbelrasseln mit Moskau und die Einschränkung von Freiheitsrechten - etwa durch neue Überwachungsgesetze, die durch Europas "Krieg gegen den Terror" verschärft werden.

Kritik, die direkt aus der Zivilgesellschaft kommt, wird überhört, nicht ernst genommen oder parteipolitisch ausgetragen. Von der Idee der "Friedensmacht" haben sich europäische Regierungen längst verabschiedet. An den Zäunen, die jetzt aufgezogen werden, hat Brüssel selbst mitgebaut.