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Schandfleck und Nationalsymbol

Von Michael Ossenkopp

Wissen

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Es ging um ein gewagtes Ziel: die Errichtung des höchsten Bauwerks, das je von Menschenhand erschaffen wurde. Zur Hundertjahrfeier der Französischen Revolution 1889 sollte das architektonische Wunder Wirklichkeit werden, als Attraktion der Weltausstellung in Paris: Der Bau des 300 Meter hohen Eiffelturms begann am 28. Jänner 1887.

Anfängliche Kritik prallte an seinem eisernen Körper ab, der nach 20 Jahren geplante Abriss wurde verschoben und schließlich abgesagt. Heute besuchen jährlich rund sieben Millionen Menschen den 10.000 Tonnen schweren Koloss aus Stahl; das einzigartige Wahrzeichen Europas ist aus der Stadtsilhouette nicht mehr wegzudenken.

Entwurf und Patent

Namensgeber des berühmten Turms war Bauunternehmer Gustave Eiffel (1832-1923), dessen Firma "Eiffel & Cie" sich auf Eisen- und Stahlkonstruktionen spezialisiert hatte. Schon beim Umbau des Pariser Kaufhauses "Le Bon Marché" sowie bei der Herstellung der Schleusen des Panamakanals und der tragenden Metallstruktur der Freiheitsstatue in New York war Eiffel beteiligt gewesen. Allerdings stammten Idee, Entwurf und erste Berechnungen für den neuen Turm in Paris von zwei Mitarbeitern seines Ingenieurbüros: Maurice Koe- chlin und Emile Nougier. Eiffel war von den Plänen so begeistert, dass er kurzum die Patentrechte erwarb und den Architekten Stephen Sauvestre mit der Fertigstellung beauftragte. Nach nur 26 Monaten Bauzeit war die Meisterleistung vollendet, eine revolutionäre Synthese aus klassischer Bauweise und modernem, industriellem Fertigungsverfahren.

Der Zusammenbau der Turmteile erfolgte - soweit möglich - in Eiffels Werkstätten in Levallois-Perret, einem nordwestlichen Vorort von Paris. Auf der Baustelle wurden die passgenauen Fertigteile mit Hilfe von hölzernen Gerüsten und kleinen dampfbetriebenen Kränen zusammengesetzt. Lediglich zwischen 80 und 250 Metallarbeiter waren mit Herstellung und Montage der 18.038 vorgefertigten Einzelteile beschäftigt, zusammengehalten von rund 2,5 Millionen Nieten. Die überschaubare Anzahl gut bezahlter Spezialisten sorgte für größtmögliche Motivation und Effektivität, kein Arbeiter kam bei der gefährlichen Tätigkeit in schwindelerregender Höhe zu Tode.

Die aufgelockerte Bauweise des Stahlfachwerkturms schafft eine maximale Winddurchlässigkeit, so kann der Turm auch stärksten Stürmen standhalten. Die vier kastenförmigen Eckstützen laufen auf einer Grundfläche von 129 x 129 Metern gekrümmt aufeinander zu. Der Turm verjüngt sich nach oben, die Gitterwerke sind untereinander in regelmäßigen Abständen durch Metallträger verbunden. In einer Höhe von 57 Metern befindet sich eine erste Plattform, in 115 und 276 Metern folgen zwei weitere, alle bieten Platz für Souvenirläden, Restaurants und maximal 6000 Besucher. Die Plattformen sind über Aufzüge erreichbar, von der dritten reicht eine Wendeltreppe bis ganz nach oben. Wer den Turm zu Fuß erklimmen will, braucht eine gute Kondition - knapp 1700 Stufen führen bis an die Spitze. Als Belohnung winkt eine beeindruckende Fernsicht, bei gutem Wetter bis zu 70 Kilometer.

Womit Eiffel nicht gerechnet hatte, war die große Ablehnung gegenüber "la dame en fer" (die eiserne Dame). Ursprünglich hatte der Turm nur eine begrenzte Betriebsgenehmigung und sollte spätestens 1909 wieder abgetragen werden, denn der Stahlkoloss war kein Denkmal, sondern ein moderner Bau ohne Funktion.

Doch Vorwürfe wie "Schandfleck", "tragische Straßenlaterne" "düsterer Fabrikschornstein", "teuflische Konstruktion" bis zur "Entehrung von Paris" trafen Eiffel besonders aus der Künstlerszene. Der Komponist Charles Gounod, die Schriftsteller Émile Zola, Guy de Maupassant und Alexandre Dumas sowie der Architekt der Pariser Oper, Charles Garnier, verfassten eine Protestschrift: "Wir Schriftsteller, Maler, Bildhauer, Architekten und leidenschaftlichen Liebhaber der Schönheit von Paris protestieren im Namen des verkannten französischen Geschmacks mit aller Macht gegen die Erbauung des unnötigen und ungeheuerlichen Eiffelturms im Herzen unserer Stadt."

Erst als sich der Turm wegen seiner immensen Höhe als wertvolle Antenne für die Kommunikation erwies und die ersten transatlantischen Funkverbindungen des neuen Jahrhunderts ermöglichte, durfte er stehen bleiben. 1906 hatte die höchste Telegraphenstation der Welt eine Sendeweite von 3000 Kilometern, während des Ersten Weltkriegs konnten feindliche Botschaften abgehört werden, was dem Konstrukt den Beinamen "großes Ohr" einbrachte. Auch Mata Hari wurde der Eiffelturm zum Verhängnis: Im Dezember 1916 fing die Funkstation ein Telegramm des deutschen Nachrichtendienstes ab und enttarnte die Nackttänzerin als Spionin.

Turm der Rekorde

Anfang der 1920er Jahre starteten vom Eiffelturm aus erste Radiosendungen, 1935 begann die Ausstrahlung regelmäßiger Fernsehprogramme. Heute befinden sich dort einige Dutzend Antennen, von da aus werden immer noch verschiedene Hörfunk- und Fernsehprogramme gesendet.

Die Baukosten des Eiffelturms beliefen sich auf knapp 7,74 Millionen Francs, auf das heutige Preisniveau umgerechnet müsste man für das luftige Stahl-Fachwerk knapp 60 Millionen Euro berappen. Bis 1930 war der Turm das höchste Bauwerk der Welt, erst dann wurde es vom Chrysler Building in New York übertroffen. Nachbauten des Eiffelturms stehen in Las Vegas, Tokio und im kalifornischen Disneyland - manche sogar maßstabsgetreu. Bereits während der Weltausstellung erklommen zwei Millionen Gäste die Attraktion an der Seine und machten sie zu einem gewinnträchtigen Unternehmen. Bis heute besuchten rund 250 Millionen Menschen das "Dach von Paris".

Eine Herkulesaufgabe ist die Erneuerung des Anstrichs. Etwa alle sieben Jahre müssen die rund 200.000 Quadratmeter Fläche des Eiffelturms neu gestrichen werden. 25 schwindelfreie Malermeister tragen 60 Tonnen Farbe auf, das dauert 18 Monate und kostet drei Millionen Euro. Im März 2009 erfolgte der 19. Anstrich. Seither erstrahlt der Turm wieder im alten Glanz, nachts wird er außerdem von innen und außen angeleuchtet. Zusätzlich rotiert von der Turmspitze aus ein Scheinwerferstrahl, zu jeder vollen Stunde erzeugen Lampen durch Blinken einen Glitzer-Effekt. Das hat seinen Preis: Der jährliche Stromverbrauch beträgt 7,5 Millionen Kilowattstunden.

Die Zeiten, als sich Selbstmörder vom Mythos Eiffelturm angezogen fühlten (im Laufe der Jahrzehnte stürzten sich 400 Menschen in den Tod), sind zum Glück vorbei. Alle Ausgänge und Plattformen wurden inzwischen vergittert. Vor 100 Jahren gelang es einem österreichischen "Erfinder", seinen Fallschirmanzug von der ersten Plattform aus zu testen. Er starb aus Angst, noch bevor er den Boden erreicht hatte.

Eine Anekdote über den Eiffelturm ist kaum zu glauben, aber wahr: Der Hochstapler und Trickbetrüger Victor Lustig verkaufte 1925 den gewaltigen Turm - und das gleich zweimal. Zu jener Zeit erschienen in französischen Zeitungen Berichte über den schlechten Zustand des Eiffelturms, es wurde sogar über seinen Abriss spekuliert. Das brachte Lustig auf eine verwegene Idee: Der gewandt auftretende Weltmann aus Böhmen, der fließend fünf Sprachen beherrschte, entwendete beim französischen Postministe-rium Briefpapier und Umschläge. In Schreiben an sechs Schrotthändler gab er sich als stellvertretender Generaldirektor des Postministeriums aus und lud sie zu einem Treffen ins luxuriöse Hôtel de Crillon ein. Dort erklärte er die bevorstehende Demontage des Turms, das Altmetall solle verkauft werden.

Kriminelle Händel

Ein gewisser André Poisson ging ihm auf den Leim: Als sich Lustig am folgenden Tag als vermeintlich unterbezahlter Staatsdiener offenbarte und zur Verkaufssumme zusätzlich Schmiergeld forderte, war Poisson von der Echtheit des Angebots endgültig überzeugt. Der Händler zahlte 200.000 Franc und Lustig gratulierte ihm: "Von nun an sind Sie Besitzer des Eiffelturms." Noch am gleichen Tag setzte sich Lustig nach Wien ab. Als er später erfuhr, dass der Betrogene aus Scham geschwiegen und nicht einmal die Polizei verständigt hatte, kehrte Lustig zurück und versuchte den Schwindel erneut. Dieses Mal erstattete der Käufer Anzeige und der Betrug flog auf.

MichaelOssenkopp, geboren 1955, war 15 Jahre Redakteur bei Tageszeitungen, arbeitet heute als freier Autor in Berlin. Themenschwerpunkte: Chronik und Geschichte, vor allem historische Katastrophen.