Langsam wird sichtbar, wie die Neos inhaltlich ticken. Ihre Gegner wittern erstmals Morgenluft.
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Wien. Nach dem sensationellen Einzug der Neos ins Parlament war die politische Landschaft monatelang in pinken Partyrauch gehüllt. Dieser verdeckte das Wesen der neuen Partei und raubte jenen die Orientierung, die sich gegen die neuen Angreifer verteidigen mussten. Liberal? Öko? Konservativ? Progressiv? Sozial? Egal. Das zählte wenig, denn sie waren in erster Linie eines: brandneu. Die betont offene Positionierung passte ins Bild der breit aufgestellten "Bürgerbewegung", die scheinbar alle ideologischen Ketten sprengt.
Privat kommt vor Staat
Nun verzieht sich der Nebel und es wird sichtbar, dass auch die Neos trotz aller postmodernen Strickmuster einen ideologischen Kern besitzen und dieser ist "im Zweifelsfall liberal". Am besten illustrierte das der Auftritt der EU-Spitzenkandidatin Angelika Mlinar in der ORF-Pressestunde am Sonntag. Dort wurde sie auf rot-weiß-rote Tabus abgeklopft: von Neutralität über Wasser bis hin zur Müllentsorgung. Und sie bezog Position. Müllabfuhr privatisieren? Warum nicht? Wasserversorgung privatisieren? Warum nicht? Private Spitäler? Warum nicht?, meinte sie sinngemäß.
Was in diesen Antworten durchklang, war die klare Grundhaltung: Privat geht vor Staat. Weiters in der Liste der pinken Tabubrüche: der assistierte Suizid, eine Ambulanzgebühr und ein Plädoyer für mehr Offenheit im Umgang mit Gentechnik. Und wie pflegen die Neos die Heilige Kuh der Österreicher, die Neutralität? "Völlig überholt", sagt die Spitzenkandidatin für die Wienwahl, Beate Meinl-Reisinger, "die gibt es längst nicht mehr", sagte der Abgeordnete Niki Scherak schon vor Monaten zur "Wiener Zeitung". Mlinar formulierte es in der Pressestunde schon vorsichtiger. Die Neutralität sei ihr keine Herzensangelegenheit, aktiv an der Abschaffung wolle sie sich aber nicht beteiligen.
Ob sie versuchte, noch rechtzeitig in Deckung zu gehen, weil sie den Gegnern ins Auge blickte? Die haben nun konkrete Angriffspunkte, die vorher nur noch niemanden interessierten: "Neos wollen die Neutralität und das österreichische Bundesheer" abschaffen, werden ihnen SPÖ und ÖVP ab nun täglich um die Ohren werfen. Die Grünen werden sie bei jeder Gelegenheit des kühlen Neoliberalismus zeihen.
Dabei sind die Neos zumindest beim Heer gar nicht so weit weg vom Mainstream. Seit vielen Jahren spricht sich eine deutliche Mehrheit der Österreicher von mehr als 70 Prozent für eine gesamteuropäische Armee aus, über 60 Prozent befürworten die Teilnahme Österreichs daran. Gleichzeitig sind 70 Prozent dagegen, dass Österreich bei Schaffung der Armee die Neutralität aufgibt. Sie sagen E, aber nicht U.
Die Neos hüten sich nicht nur bei der Neutralität vor solchen Spagaten und wollen Flagge zeigen - wohl aus Angst, schon jetzt das Schicksal des Liberalen Forums zu erleiden, aus dem Mlinar kommt. Das war am Schluss weder Fisch noch Fleisch, und die Wähler verloren den Gusto auf das Neue rasch.
Die Neos bleiben bis jetzt lieber ihren Kernwerten und Kernwählern treu: den jungen Europafans. Für junge Österreicher ist die Neutralität weit weniger emotional besetzt als für die Generation Kalter Krieg. Und wer auf Erasmus war, schreckt bei der pinken Vision der "Vereinigten Staaten von Europa" nicht sofort zusammen. Liberal, jung, europhil und provokant: Ziehen die Neos diese Linie durch, wachsen die pinken Bäume nicht in den Himmel. Denn erstens haben die Pensionisten politisch das Sagen in Österreich, zweitens hat Österreich den letzten Platz im EU-Liebesranking erst kürzlich abgegeben und drittens ist der Boden für liberales Gedankengut in Österreich mehr als ausgetrocknet.
Sich selbst zu treu
Dabei sah es ganz gut aus — bis zur Bankenkrise. Gemeint ist nicht jene von 2008, sondern der Gründerkrach 1873. Damals gab es (unter dem Kaiser) eine liberale Regierung. Getreu ihrer Überzeugungen ließ diese betroffenen Banken und Aktienunternehmen pleitegehen. Bei den Wählern war der Liberalismus daraufhin tot - und zwar im Wesentlichen bis heute. Spurenelemente haben sich zwar in allen drei großen Lagern - Christlichsoziale, Sozialdemokraten und Deutschnationale - gehalten, wirklichen politischen Einfluss konnte sie aber nicht mehr entwickeln. Heute hat sich der fürsorgliche Staat in den Augen aller Parteien unentbehrlich gemacht. Die erdrückende Mehrheit der Wähler sieht’s genauso.
Wollen sich die Neos treu bleiben und langfristig überleben, müssen sie Österreich nicht nur bunter, sondern wieder liberaler machen.