Immer mehr Haushalte montieren Photovoltaik-Anlagen auf ihre Dächer und produzieren ihren Strom selbst. | Das geht zum Teil auf Kosten anderer Haushalte, weil Netzbetreiber Gebühren und Kosten gegenrechnen.
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Wien. "Wie Schwammerln aus dem Boden schießen sie", sagt Martin Graf von der E-Control. Mit den "Schwammerln" sind private, kleine Photovoltaik-Anlagen (PV) mit einer installierten Leistung weniger als fünf Gigawattpeak (GWp) gemeint. In den Vororten und außerhalb der dicht besiedelten Städte schmücken immer mehr dunkelblaue, rechteckige Solarzellen die Dächer von Einfamilienhäusern und wandeln an sonnigen Tagen Licht in Strom um.
Für die Haushalte, die sich diese Anlagen leisten und betreiben können, ist das gut. Sie produzieren einen Teil ihres Stroms selbst und sparen zusätzlich Gebühren. Für Menschen, die zum Beispiel in einem Wiener Gemeindebau leben, ist diese Regelung weniger gut. Die Netzbetreiber haben nämlich einen gesetzlichen Anspruch, ihre Kosten abzurechnen; derzeit belaufen sich diese auf 1,5 Milliarden Euro jährlich, Tendenz sinkend. Das bedeutet: Je mehr PV-Anlagen am Netz hängen, desto mehr werden die dadurch entstandenen Kosten und entgangenen Netzgebühren auf andere Haushalte und kleine Betriebe aufgeteilt. Industrie- und Großbetriebe sind übrigens davon kaum betroffen, weil sie andere Großhandelspreise, Tarife und Netzstufen haben.
Ein Prozent des Stromsaus Photovoltaik
Tatsächlich erlebt die PV in den vergangenen Jahren einen Aufschwung. In der Herkunftsnachweisdatenbank der E-Control sind über 50.000 PV-Anlagen registriert. Die Dunkelziffer dürfte jedoch höher sein, weil dort beispielsweise keine Anlagen aufscheinen, die nicht von der Österreichischen Abwicklungsstelle für Ökostrom gefördert sind. Eine zentrale PV-Datenbank gibt es nicht. Mit einer installierten Leistung von 626 Megawattpeak machte die PV 2013 1,1 Prozent am gesamten österreichischen Stromverbrauch aus. Bis Jahresende soll die Leistung auf ein GWp steigen, bis 2020 auf 1,2 GWp. Geschätzte drei Viertel der Anlagen entfallen auf private Haushalte und Landwirtschaften.
Netzbetreiber wollenneue Spielregeln
Angesichts dieser Entwicklung keimt nun in der österreichischen Stromwelt eine Diskussion über neue Netzstruktur und neue Netzkosten auf. Der Vorwurf: Die PV-Anlagenbetreiber würden auf Kosten anderer Stromkonsumenten, die sich solche Anlagen nicht leisten können, vom bestehenden System profitieren. "Es ist eine Entsolidarisierung der PV-Anlagenbetreiber zu Lasten jener, die keine PV-Anlagen haben", argumentiert etwa Graf. "Die Umstellung der Stromproduktion in Richtung dezentraler erneuerbarer Energien erfordert nicht nur einen Ausbau der Netze, sondern auch eine Neuausrichtung der Kostenaufteilung", sagt Barbara Schmidt, Generalsekretärin der Interessensvertretung der E-Wirtschaft Österreichs Energie, im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung.
Den eigenen Strom selbst zu produzieren und Überschüsse ins Stromnetz einzuspeisen, ist in der Tat eine günstige Lösung für Haushalte. Mit einer eigenen PV-Anlage sparen sie bei einem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 4500 Kilowattstunden circa 50 Euro an Netzgebühren - diese betragen aktuell 250 Euro jährlich. Außerdem zahlt man 76 Euro weniger an Ökostrom-Abgaben. Und weil ein Teil des Stroms selbst produziert ist, sind auch die Energiekosten niedriger. Die entfallenen Gebühren und Ökostromförderungen holen sich dann Netzbetreiber wie beispielsweise EVN oder Salzburg AG bei den Haushalten ab.
Außerdem wird die Anschaffung in Österreich gefördert. Im Schnitt kann man sich ein Achtel der Anschaffungskosten - diese liegen derzeit bei 8000 bis 10000 Euro - zurückholen. Allein heuer liegen in Österreich 75 Millionen Euro an Fördermittel PV-Anlagen bereit.
Diskussion über neueNetzentgelte
Für Hans Kronberger, Präsident der Photovoltaik Austria, ist die Debatte übertrieben: "Die Diskussion hat etwas Absurdes. Bei der Ausbaumenge macht das bis 2020 nicht einmal zwei Prozent des österreichischen Stromverbrauchs aus." Angesichts dessen sei auch kein Netzausbau weg von zentraler in Richtung flexibler Stromversorgung noch nicht notwendig. Auch die Frage der sozialen Gerechtigkeit sei ein Ausspielen der Konsumenten gegeneinander.
Graf von der E-Control kontert: "Wer kauft sich den PV-Anlagen? Das sind nicht jene, die arm sind." Bis Jahresende will der Regulator mit der Strombranche und den Sozialpartnern eine Diskussion darüber führen, wie eine zukünftige Netzentgeltstruktur aussehen soll. Die derzeitige Regelung läuft 2019 aus, eine Teilanpassung könne es schon früher geben. Der stetige Umstieg auf erneuerbare Stromquellen und die vereinbarten Klimaverpflichtungen in der EU machen jedenfalls eine Diskussion über neue Netze und einen Paradigmenwechsel in der klassischen Stromerzeugung notwendig.