Die Halbzeitbewertung der schwächelnden Lissabon-Strategie steht auch heute im Vordergrund des Frühjahrsgipfels der EU-Staats- und Regierungschef. Die vehemente Opposition Frankreichs gegen die geplante Dienstleistungsrichtlinie überschattete allerdings den Auftakt gestern. Dabei hätte gerade diese Regelung als integraler Bestandteil der Wiederbelebung des großen Plans dienen sollen.
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Für die Halbzeitbewertung der Lissabon-Strategie hatte der niederländische Ex-Premier Wim Kok in seinem Bericht letzten November bereits ein düsteres Szenario gezeichnet. Europas Weg zum "wettbewerbsfähigsten und stärksten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt" dauert länger als ursprünglich geplant. Von einer uneinheitlichen Bilanz wollen denn auch die Spitzen der EU-Länder laut einem Entwurf der Schlusserklärung des Frühjahrsgipfels 2005 sprechen.
Den nun neuen Aktionsplan der Kommission für "Wachstum und Jobs" begrüßte der Europäische Rat. Ganz oben auf der Agenda steht dabei die "Erweiterung und Vertiefung des Binnenmarkts", der freien Waren-, Finanz-, Dienstleistungs- und Arbeitskraftverkehr ermöglichen soll. Während die ersten beiden Punkte weitgehend verwirklicht wurden, ringt die Brüsseler Administration gerade heftig mit Punkt drei. Gegen die geplante Dienstleistungsrichtlinie gibt es vor allem aus Frankreich massiven Widerstand, da die Regierung in Paris befürchtet, dadurch könnte das EU-Verfassungsreferendum Ende Mai kippen. Präsident Jacques Chirac hatte ultimativ den Ausschluss aller öffentlichen Dienstleistungen aus dem Vertragswerk für seine Zustimmung gefordert. Auch müsse "fairer Wettbewerb" in den betroffenen Branchen ebenso garantiert werden wie eine Harmonisierung sozialer Rahmenbedingungen auf "hohem Niveau".
Abgeänderte Form
Dass die Direktive in ihrer derzeitigen Form nicht Gültigkeit erlangen wird, ist unbestritten. Auch der luxemburgische EU-Ratsvorsitzende Jean-Claude Juncker erklärte nach dem Treffen der europäischen Sozialpartner: "Ich bleibe bei meinem Ja zur Liberalisierung, aber Nein zum Sozialdumping". Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso bekräftigte die Bereitschaft der Kommission zur Überarbeitung, verwahrte sich aber gegen die Instrumentalisierung der EU-Exekutive durch Chirac zur Lösung nationaler Probleme. "Das Referendum betrifft nicht die Dienstleistungsrichtlinie", sagte er. Die Richtlinie sei eine zentrale Kraft für den geplanten Aufschwung. Sie ermögliche 0,6 Prozent mehr Wirtschaftswachstum und die Schaffung von 600.000 neuen Arbeitsplätzen in Europa. Eine große Zahl der Mitgliedsstaaten - vor allem neue EU-Länder - unterstütze ebenso das so genannte Herkunftslandprinzip, das es Dienstleistern erlauben soll, europaweit zu den Konditionen ihres Heimatlandes ihre Leistungen anzubieten.
Auch der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel lobte das umstrittene Vertragswerk. Barrosos Versicherung, dass es zu keinem Sozialdumping kommen werde und dass kommunale öffentliche Dienstleistungen für die Basisversorgung ausgenommen seien, schaffe Vertrauen. Und Vertrauen sei genau das, was die europäische Wirtschaft nun brauche. Österreich ist zudem ein Dienstleistungsexporteur und könnte nach inoffiziellen Schätzungen durch die Richtlinie noch um bis zu 30 Prozent zulegen. Die Einbeziehung der Sozialpartner zur Sicherung der sozialen Komponente der Lissabon-Strategie, begrüßte Sozialministerin Ursula Haubner: "Wachstum und Beschäftigung" sei "nachhaltig nicht ohne soziale und ökologische Sicherheit" denkbar. Laut Schlusserklärung müssten alle geeigneten einzelstaatlichen und gemeinschaftlichen Mittel der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Dimension der Strategie verstärkt mobilisiert werden.