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Schattenboxen

Von Walter Hämmerle

Leitartikel

Die Reise nach Toronto zum Gipfel der 20 wichtigsten Industriestaaten und Schwellenländer dürfte so mancher Staatenlenker als willkommene Atempause von der Heimatfront betrachten.


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US-Präsident Barack Obama muss zumindest an diesem Wochenende nicht schon wieder die Gummistiefel anziehen und den Menschen an den ölverschmutzten Küstenstreifen am Golf von Mexiko seine eigene Hilflosigkeit mit empathischer Eloquenz erläutern.

Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel wiederum wird wohl über jeden Kilometer froh sein, den sie zwischen sich und FDP-Chef Guido Westerwelle bringt. Die Sinnsuche ihres liberalen Koalitionspartners lässt die Regierung in Berlin seit Wochen am Abgrund entlangtänzeln.

Bei Nicolas Sarkozy weiß man nicht so recht, ob es ihm nicht doch irgendwie gelingt, das ballesterische Desaster seiner "Les Blöds" für sich zu nutzen: Immerhin steht der Kampf gegen selbstverliebte, arrogante Millionäre derzeit ganz oben auf jeder politischen Agenda-Liste; warum sollte das nicht auch bei diesen verhassten Fußball-Millionären gelingen? Den Widerstand der traditionell kampflustigen Gewerkschaften gegen seine Pensionsreform zu überwinden, dürfte Sarkozy dagegen sehr viel mehr Mühe kosten.

Großbritannien und Japan werden durch David Cameron und Naoto Kan von zwei blutigen Anfängern auf dem internationalen Parkett vertreten. Australiens neue Regierungschefin Julia Gillard schickt überhaupt gleich ihren Vize als Ersatz.

So trägt fast jeder der in Kanada versammelten Spitzenpolitiker seinen ganz persönlichen Sorgenrucksack mit sich herum. Von den sachlichen Differenzen bei den politischen und regulatorischen Konsequenzen aus der Finanz- und Wirtschaftskrise zwischen den einzelnen Staaten und Regionen ist da noch gar nicht die Rede.

Reden wird daher Gold sein in Toronto. Die wichtigsten Adressaten sitzen nicht gegenüber am Konferenztisch; die Worte von Obama, Merkel, Sarkozy und Co richten sich ans zunehmend irritierte Heimatpublikum. Schattenboxen und Schaulaufen sind in den nächsten Tagen angesagt. Nach dem Dafürhalten der Damen und Herren ist die Zeit noch nicht reif für gemeinsame Entscheidungen.