Christoph Leitl treibt die ÖVP an; was treibt den Wirtschaftskammerboss an?
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Wien. Montagabend trafen SPÖ-Chef Werner Faymann und ÖVP-Obmann Michael Spindelegger im grellen Licht des TV-Studios von Puls4 zum "Kanzlerduell". Als thematischer Einpeitscher diente in den Tagen zuvor ein Mann, der politisch sonst eher im Schatten werkt - als angehöriger der Sozialpartnerschaft, vulgo Schattenregierung.
Leitl hat den heimischen Firmenstandort als "abgesandelt" bezeichnet und damit den ersten echten Wahlkampf-Sager geliefert. Seither wogt die Debatte, wie attraktiv Österreich für Unternehmen überhaupt noch ist.
Bei einem noch emotionaleren Thema - dem Pensionsantrittsalter von Frauen - sorgte der Wirtschaftskammerpräsident erst am Wochenende dafür, dass es nicht unter den Teppich gekehrt wird, obwohl die ÖVP-Zentrale längst den Mantel des Schweigens darüber gebreitet hatte. Vorgeschichte: ÖVP-Chef Michael Spindelegger hatte in einem Nebensatz die frühere Angleichung des Frauenpensionsalters auf 65 Jahre mehr gehaucht als gefordert. Doch er erntete dafür einen Sturm der Entrüstung - von SPÖ bis "Kronen-Zeitung". Es folgte die Klarstellung der ÖVP, dass es mit ihr vor 2024 keine schrittweise Angleichung zwischen Mann und Frau in dieser Frage geben werde. Am Wochenende aber legte der Boss von Wirtschaftskammer und ÖVP-Wirtschaftsbund nach. Leitl sagte, es sei "unsozial", wenn die SPÖ sich darauf festlege, eine vorzeitige Angleichung des Frauenpensionsalters zu verhindern. Und wieder: Ein Protest-Feuerwerk der SPÖ und ein neuerlicher Rüffel der "Kronen" speziell gerichtet an den "Herrn Leitl".
Was treibt Leitl an? Themensetzung ist die traditionelle Aufgabe der Sozialpartner im Wahlkampf, meint Politikexperte Peter Filzmaier. Doch aus dem Freund könne rasch eine "unguided missile" werden. Hat Leitl den Punkt schon überschritten?
"Alter und älterer Schwede"
"Leitl schätzt die mediale Präsenz", sagt ein Wirtschaftskämmerer, "und er neigt dazu, Dinge rasch aufzugreifen und bleibt dann drauf." Aufgegriffen hat er das Schwedische Pensionsmodell. Dadurch soll das Pensionsalter steigen, das in Österreich bei niedrigen 59 Jahren (Männer) bzw. 57 Jahren (Frauen) liegt. Wer länger arbeitet, soll einen Bonus bekommen, fordert Leitl seit Mai mit Verve. Und dieser Verve ist offenbar stärker als die Lust, sich dem Nichtangriffspakt bei den Pensionen zu fügen.
Mit dem Sager vom "abgesandelten" Standort soll Leitl wiederum bewusst Maria Fekter unterstützt haben. Die Finanzministerin, die wie er aus dem oberösterreichischen Unternehmerumfeld stammt, hat die Debatte um die Flucht von Konzernen eingeläutet - mit einer nicht haltbaren Studie, wie im "Faktencheck" der "Wiener Zeitung" dargestellt. Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner - ebenfalls Oberösterreicher und einst Leitls Vize - kalmierte. Doch Leitl stärkte nicht ihm, sondern Fekter den Rücken. Er soll ihr deutlich näher stehen. Wohl auch deswegen, weil sie seine natürliche Verbündete ist in einem weiteren Leibthema: Dem Kampf gegen neue Steuern und Kosten für Firmen. "Genug gezahlt", hat die Kammer schon im Frühjahr plakatiert.
In der eigenen Partei macht sich der wahlkampffreudige Leitl aber nicht nur Freunde.
Gabriele Tamandl (ÖVP), Abgeordnete und Vizechefin des Österreichischen Arbeitnehmerbundes ÖAAB, zeigte sich in einem Posting auf Facebook nachgerade "entrüstet" über die Pensionsaussagen von Leitl. "Der Herr Präsident soll erst einmal schauen, dass große - auch staatsnahe - Firmen nicht die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schon mit 50 in die Frühpension abdrängen! Diese Forderungen nach früherer Angeleichung des Frauenpensionsalters habe ich sooo satt!!"
Der Sozialpartner-Experte Emmerich Tálos sagt: "Der Wahlkampf bietet den Interessensorganisationen der Parteien die Möglichkeit, ihre Themen öffentlich zu machen und zu platzieren - auch innerparteilich." Tamandl gegen Leitl, das ist das parteiinterne ÖVP-Match von ÖAAB gegen Wirtschaftsbund. Von diesen Bünden müsste man im Wahlkampf auch reden, meint Tálos, nicht von Sozialpartnerschaft. "Sozialpartnerschaft heißt Zusammenwirken", im Wahlkampf gehe es aber nicht ums Verhandeln.
Doch eine Strategie?
Einen gewissen Sanktus dürfte Leitl von ÖVP-Chef Spindelegger aber haben - vor allem für seinen Alarmismus beim Standort. Denn mit einem Wohlfühlwahlkampf kann ein Zweiter wie die ÖVP nie Erster werden. Das hilft dem derzeit Ersten, also der SPÖ. Also muss die ÖVP Probleme thematisieren (Leitl) und dann Lösungen präsentieren (Spindelegger).
Bei der dominanten Wählerschicht der Pensionisten geht das nicht auf. Filzmaier: "Wenn die SPÖ plakatiert, Pensionen sichern, ist das ähnlich originell wie Schnee im Winter. Doch mit der Debatte ums Frauenpensionsalter wird das nichtssagende Plakat nun unterfüttert."